Der umstrittene Griff der Grünen nach der deutschen Erinnerungskultur

 

Die Ambitionen der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, das Gedenken in Deutschland neu zu definieren, haben eine Welle der Entrüstung ausgelöst. Ist es der Versuch einer ideologischen Neuausrichtung der deutschen Geschichte? Ein tiefgreifender Einschnitt, der weit über das übliche Maß einer politischen Neugestaltung hinausgeht, zeichnet sich ab.

Claudia Roth, bereits durch frühere Kontroversen bekannt, scheint nun eine umfassende Transformation der Erinnerungskultur anzustreben. Ihr kürzlich vorgestelltes Rahmenkonzept zielt darauf ab, die bestehende Gedenkstättenkonzeption des Bundes zu ersetzen – ein Vorhaben, das sowohl bei Gedenkstättenleitern als auch in den Medien auf scharfe Kritik stößt. Die geplanten Änderungen würden eine zentralistische Einflussnahme auf das Gedenken ermöglichen, was einen markanten Bruch mit der bisherigen, dezentralen Verwaltung darstellt.

Besonders brisant ist der Versuch, die Erinnerungspolitik nicht nur als Mahnung, sondern auch als „gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag“ zu verstehen. Dies impliziert eine politische Instrumentalisierung der Gedenkstätten, die bisher strikt auf die historischen Fakten und ihre wissenschaftliche Erforschung ausgerichtet waren. Roth möchte die Gedenkstätten offenbar für eine breitere, multikulturelle Narrative öffnen, die neben den Verbrechen des Nationalsozialismus auch Themen wie Migration und koloniale Vergangenheit integriert. Dies könnte dazu führen, dass die spezifisch deutschen Aspekte des Holocaust und anderer historischer Ereignisse in den Hintergrund treten.

Die Kritik daran ist nicht nur, dass solche Veränderungen die Erinnerung an die NS-Verbrechen relativieren könnten, sondern auch, dass sie den Rahmen des bisherigen Verständnisses von Gedenken sprengen. Durch das Einfügen verschiedener Erinnerungsschichten, die durch die Perspektiven der Einwanderungsgesellschaft bestimmt werden, riskiert Roth, eine Fragmentierung der kollektiven Erinnerung zu fördern, die ihre einigende und lehrreiche Funktion untergraben könnte.

Bereits seit ihrem Amtsantritt Ende 2021 scheint Roth konsequent an der Umsetzung ihrer Vision zu arbeiten. Über 22 Millionen Euro wurden für ein „Haus der Einwanderungsgesellschaft“ bereitgestellt, und Pläne für ein virtuelles Archiv zu rechter Gewalt sowie ein Dokumentationszentrum für die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds wurden angekündigt. Diese Projekte erweitern zweifellos das Spektrum der Erinnerung, werfen jedoch die Frage auf, ob sie die grundlegenden Ereignisse, die das Fundament der deutschen Erinnerungskultur bilden, in den Schatten stellen.

Was bedeutet es für ein Land, wenn seine zentralen historischen Narrative neu interpretiert und möglicherweise neu gewichtet werden? Es steht außer Frage, dass eine Gesellschaft ihre Geschichte reflektieren und gegebenenfalls neu interpretieren muss. Doch wenn solche Veränderungen primär aus ideologischen Beweggründen angetrieben werden, besteht die Gefahr, dass die Geschichte nicht mehr als objektive Lehre, sondern als politisches Werkzeug dient.

Die Diskussionen und die geplante Überarbeitung der Gedenkstättenkonzeption im Herbst bleiben ein kritischer Beobachtungspunkt für alle, die an der Bewahrung einer ausgewogenen und unparteiischen Erinnerungskultur interessiert sind. Die Entscheidung darüber, wie und was wir als Nation gedenken, sollte nicht leichtfertig oder aus kurzfristigen politischen Erwägungen heraus manipuliert werden. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass man es einem ideologischen Eifer überlassen könnte, der die Grundfesten unserer historischen Wahrnehmung erzittern lässt.

Quelle: WELT