Gefangen im Teufelskreis der gesunden Ernährung: Wenn der Wunsch nach Gesundheit krank macht
Nils Binnberg, ein langjähriger Verfechter gesunder Ernährung, erkannte nach Jahren der veganen, kohlenhydratarmen, gluten- und laktosefreien Diät, dass sein Streben nach Gesundheit ihn krank gemacht hatte. Er entwickelte eine Essstörung namens Orthorexie, eine Obsession für gesunde Ernährung, die sein Leben komplett dominierte.
Binnberg folgte zeitweise bis zu 20 Ernährungslehren gleichzeitig, jede mit spezifischen Regeln und vermeintlichen Vorteilen. Restaurantbesuche wurden unmöglich, da alles „bio“ und leistungssteigernd sein musste. Die ständige Sorge um die Nährwertangaben seiner Nahrungsmittel und die Schuldgefühle beim Brechen seiner strengen Diätregeln bestimmten seinen Alltag.
Die Erkenntnis, dass er ernsthaft krank war, kam nach sieben Jahren. Die Unterstützung von sogenannten Ernährungsgurus, die in Foren, Blogs und sozialen Medien ihre Anhängerschaft pflegen, verschärfte seine Krankheit. Binnberg bezeichnet diese Informationsquellen als exklusive Geheimklubs, die leicht einen Ernährungsschuldmythos kreieren können, welcher den rationalsten Menschen in absurde Diätregeln verstrickt.
Die Auslöser für Orthorexie sind vielfältig: oft beginnt es mit einer harmlosen Fastenkur oder einem Fitnesstrainingsprogramm, das zum Leistungssport wird. Die Betroffenen glauben, mit der richtigen Ernährung ihr Schicksal kontrollieren zu können. In einer Gesellschaft, die von körperlicher Selbstoptimierung besessen ist, ist es schwer, die Grenze zwischen einem gestörten Verhältnis zum Essen und einer Essstörung zu ziehen.
Die Besessenheit von gesundem Essen führt dazu, dass Betroffene ständig über ihre Ernährung nachdenken, sich Sorgen um Aminosäuren, Antioxidantien und Entgiftung machen. Binnberg beschreibt, wie er begann, bestimmten Lebensmitteln magische Qualitäten zuzuschreiben und andere zu verteufeln.
Orthorexie ist eine Form der Ablenkung von innerer Unruhe und unbewältigten Lebensproblemen. Binnberg erkannte, dass seine Essensregeln ihn zwar vorübergehend beruhigten, aber langfristig in eine Abwärtsspirale aus Selbstekel und Verachtung führten. Er isolierte sich sozial, schwänzte Verabredungen und vernachlässigte wichtige Lebensbereiche.
Mit der Zeit begann er, seine Essstörung zu hinterfragen und sich von den rigiden Diätregeln zu lösen. Binnbergs Geschichte verdeutlicht, dass eine zu strenge Fixierung auf gesunde Ernährung gefährlich und krankhaft sein kann.