
Das Bayerische Donaumoos, einst das größte Niedermoor Süddeutschlands, hat durch jahrhundertelange menschliche Eingriffe einen drastischen Wandel erfahren. Seit dem späten 18. Jahrhundert wird das Gebiet systematisch entwässert, was zu einem erheblichen Verlust seines natürlichen Charakters geführt hat. Eine neue interdisziplinäre Studie der Universität Leipzig hat nun die Veränderungen dieses Ökosystems über einen Zeitraum von 237 Jahren rekonstruiert und die Ergebnisse im Fachjournal „E&G Quaternary Science Journal“ veröffentlicht. Diese Forschung bietet wichtige Einblicke in die intensiven Umgestaltungen des Gebiets und zeigt, dass trotz bestehender Renaturierungsansätze in den letzten Jahrzehnten keine nennenswerten Fortschritte erzielt werden konnten.
Der Mensch hat im Donaumoos, wie auch in vielen anderen Feuchtgebieten Mitteleuropas, seit Jahrhunderten aktiv in die Natur eingegriffen. Ab 1788 wurde das Niedermoor durch ein Netzwerk aus Gräben und Kanälen entwässert, um die Flächen für die Landwirtschaft nutzbar zu machen. Parallel dazu kam es zur Begradigung der Donau, was die natürlichen Wasserläufe weiter veränderte. Die aktuelle Studie dokumentiert diese tiefgreifenden Eingriffe erstmals quantitativ über mehr als zwei Jahrhunderte. Ein Team aus Geographen, Historikern, Ökologen und Archäologen hat dazu historische Karten und Dokumente aus den Jahren 1788 bis 2023 ausgewertet, um die Veränderungen der Entwässerungsgräben und der Wasserfläche der Donau nachzuvollziehen.
Die Analyse hat ergeben, dass die Umgestaltung des Donaumooses in zwei bedeutende Phasen unterteilt werden kann. Die erste Phase begann mit den ersten landwirtschaftlichen Kultivierungsmaßnahmen ab 1788 und dauerte bis etwa 1794. Die zweite Phase erstreckte sich von 1907 bis 1959. Laut Professor Christoph Zielhofer, der die Studie leitet, lassen sich aus dem Vergleich dieser quantitativen Daten mit historischen Quellen wichtige Erkenntnisse über die Zeiträume gewinnen, in denen die größten Veränderungen im Ökosystem stattfanden.
Marie Kaniecki, ebenfalls Geographin an der Universität Leipzig, hebt hervor, dass die Veränderungen nicht kontinuierlich stattfanden, sondern in Wellen auftraten, die von Phasen der Stagnation und Rückschläge unterbrochen wurden. Trotz der zahlreichen Empfehlungen zur Renaturierung des Donaumooses, die seit den 1980er Jahren bestehen, zeigen die analysierten Karten keine messbaren Fortschritte in der Rückführung der entwässerten Flächen. Die Gesamtlänge der Gräben ist nahezu konstant geblieben, was auf tief verwurzelte sozioökonomische Strukturen hindeutet, die einem Umdenken im Bereich der Flächennutzung entgegenstehen.
Das Donaumoos wird weiterhin intensiv landwirtschaftlich genutzt, was eine fortdauernde Entwässerung erfordert. Dieser kontinuierliche Entwässerungsdruck führt zu einer fortschreitenden Torfsackung, was wiederum neue Entwässerungsmaßnahmen notwendig macht. Professor Anja Linstädter von der Universität Potsdam beschreibt dies als einen Teufelskreis, der die ökologische Funktion des Moores als Kohlenstoffspeicher gefährdet und langfristig den Verlust organischer Substanz beschleunigt.
Die Studie zeigt jedoch nicht nur die ökologischen Herausforderungen auf, sondern sie eröffnet auch neue Perspektiven für die archäologische Denkmalpflege. Dr. Stefanie Berg vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in München betont, dass in Bereichen, wo menschliche Eingriffe wie die Entwässerung oder Bodenumlagerung erst spät oder nur punktuell stattgefunden haben, die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sich ältere Bodenhorizonte erhalten haben. Diese könnten archäologische Schichten und Funde enthalten, die bislang unentdeckt geblieben sind.
Die Erkenntnisse dieser Studie sind das Ergebnis einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit von Forschungseinrichtungen aus verschiedenen Städten, darunter Leipzig, Tübingen, Neuburg an der Donau, München, Potsdam, Erkner und Manchester. Die Forschung ist Teil des Schwerpunktprogramms „Auf dem Weg zur Fluvialen Anthroposphäre“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der komplexen Geschichte der Mensch-Natur-Interaktion im Donaumoos.