Marine Krankheiten: Eine unterschätzte Bedrohung für Küstenökosysteme und Gesellschaften**

Marine Krankheiten: Eine unterschätzte Bedrohung für Küstenökosysteme und Gesellschaften**

Marine Krankheiten, die durch Viren, Bakterien oder Parasiten verursacht werden, stellen eine erhebliche Gefahr für die Ökosysteme der Ozeane dar. In der bisherigen Forschung lag der Schwerpunkt vor allem auf den ökologischen Auswirkungen dieser Krankheiten. Die sozialen und ökonomischen Konsequenzen für die Menschen, die in Küstenregionen leben, wurden jedoch oft vernachlässigt. Eine aktuelle Studie, die von Wissenschaftlern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und internationalen Partnern durchgeführt wurde, hat diese Lücke nun geschlossen und einen integrativen Ansatz entwickelt, der die Auswirkungen mariner Krankheiten auf die Gesellschaft am Beispiel der Austernzucht untersucht.

Dr. Lotta Clara Kluger, die Erstautorin der Studie, betont die enge Verbindung zwischen Ozeanen und menschlichen Gesellschaften. Sie erklärt, dass das Ungleichgewicht in marinen Ökosystemen nicht nur ökologische, sondern auch gesundheitliche, wirtschaftliche und kulturelle Folgen für die Menschen haben kann. Um diese Risiken zu bewältigen, seien präventive Maßnahmen sowie politische Instrumente notwendig.

Die Wissenschaftler stützten sich in ihrer Untersuchung auf den internationalen Bewertungsrahmen des United Nations Office for Disaster Risk Reduction (UNDRR), den sie speziell auf Ausbrüche mariner Krankheiten anpassten. Ein neuartiger Aspekt der Studie ist die Einführung einer zweiten Analyseebene, die die Auswirkungen eines Krankheitsausbruchs – wie etwa das massenhafte Sterben von Austern – auf die lokale Gesellschaft oder Wirtschaft betrachtet. Dieser sogenannte Spill-Over-Effekt zeigt auf, wie mariner Krankheiten das Leben der Menschen beeinflussen können.

Austernpopulationen wurden als Beispiel gewählt, da sie sowohl ökologisch als auch ökonomisch von großer Bedeutung sind. Diese Muschelarten haben eine zentrale Rolle in ihrem Lebensraum, da sie das Wasser filtern und als Nahrungsquelle für andere Tiere dienen. Der Rückgang von Austern durch Krankheiten hat nicht nur Auswirkungen auf die Aquakultur, wo Gewinne verloren gehen oder Behandlungskosten steigen, sondern auch auf die gesamte Gesundheit des Riffs und die Stabilität der Nahrungsnetze. Zudem wirken Austern als Wellenbrecher und schützen Küsten vor Erosion. Ihre Erkrankungen können somit weitreichende negative Folgen für die Fischerei und den Tourismus nach sich ziehen.

Die soziale Bedeutung von Austern geht über ihre wirtschaftliche Rolle hinaus, da sie oft kulturell wertvoll sind und Teil des lokalen Erbes darstellen. Die Studie zeigt, dass die Wasserqualität und das Wohlbefinden von Austern direkte Auswirkungen auf die Lebensqualität der Menschen in Küstenregionen haben.

Um Risiken zu minimieren, schlagen die Forscher Maßnahmen auf zwei Ebenen vor: der ökologischen und der gesellschaftlichen. In der ökologischen Dimension können Züchter geeignete Bedingungen für die Austernzucht schaffen, etwa durch die Auswahl von Standorten mit niedriger Krankheitsanfälligkeit oder durch künstliche Wasserfilterung. Auf gesellschaftlicher Ebene können finanzielle Strategien, wie der Abschluss von Versicherungen oder die Diversifizierung von Einkommensquellen, helfen, die Auswirkungen von Krankheitsausbrüchen abzufedern.

Dr. Kluger hebt hervor, dass es entscheidend ist, Risiken nicht nur als Reaktion auf Ereignisse zu betrachten, sondern sie proaktiv zu identifizieren und zu minimieren. Ziel der Studie ist es, konkrete Werkzeuge zu entwickeln, die sowohl Zuchtbetrieben als auch politischen Entscheidungsträgern helfen, die Gesundheit der Meere, die Ernährungssicherheit und die gesellschaftliche Resilienz zu stärken.

Die Forschung ist Teil des Projekts „Beyond One Ocean Health (B1OH)“, das im Rahmen der UN-Dekade der Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung durchgeführt wird. In diesem Kontext findet auch die dritte Ozean-Konferenz der Vereinten Nationen in Nizza statt, die weltweit Maßnahmen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Meere fördern soll. Die Erkenntnisse der Studie könnten somit einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung von Strategien leisten, die sowohl marinen Ökosystemen als auch den Menschen, die von ihnen abhängen, zugutekommen.