
Am 26. Juni 2025 fand in Paris eine bedeutende Rückgabefeier statt, bei der fünf deutsche Kultureinrichtungen insgesamt 221 Bücher an die Nachfahren des französischen Anwalts, Journalisten und Politikers Henry Torrès (1891-1966) überreichten. Diese Bücher, die entweder Henry Torrès selbst oder einer seiner beiden Ehefrauen gehörten, konnten durch die enthaltenen Widmungen eindeutig zugeordnet werden. An der Restitution waren mehrere deutsche Bibliotheken beteiligt, darunter die Staatsbibliothek zu Berlin, das Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin und die Sächsische Landesbibliothek in Dresden. Die Übertragung umfasste auch Exemplare aus der Universitätsbibliothek Rostock sowie der Staatlichen Bücher- und Kupferstichsammlung in Greiz.
Die Identifizierung der Bücher war das Ergebnis eines umfassenden Forschungsprojekts, das an der Staatsbibliothek durchgeführt wurde und sich mit dem NS-Raubgut nach 1945 beschäftigte. Die Zentralstelle für wissenschaftliche Altbestände (ZwA), die während der DDR als zentrale Institution für die Verteilung von Bibliotheksgut fungierte, spielte eine entscheidende Rolle in diesem Prozess. Es war bekannt geworden, dass zahlreiche Kultureinrichtungen betroffen waren, nachdem die ersten Bücher der Provenienz Torrès zugeordnet werden konnten. Die Staatsbibliothek zu Berlin übernahm die Vorbereitungen für die gemeinsame Rückgabe, unterstützt von der Commission pour la restitution des biens et l’indemnisation des victimes de spoliations antisémites (CIVS), mit der bereits zuvor zusammengearbeitet worden war.
Marion Ackermann, die Präsidentin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, betonte die Bedeutung dieser Rückgabe als ein Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit deutscher Kultureinrichtungen im Bereich der Provenienzforschung. Sie äußerte ihren Dank an die CIVS für ihren entscheidenden Beitrag zur erfolgreichen Restitution.
Henry Torrès wurde in Les Andelys in der Normandie geboren und entstammte einer jüdischen Familie. Schon in seiner Jugend war er politisch aktiv und engagierte sich in verschiedenen kommunistischen Gruppierungen. Zudem verteidigte er linke Aktivisten und arbeitete als Journalist für die kommunistische Zeitung L’Humanité. Besonders bekannt wurde er als Anwalt, der prominente politische Persönlichkeiten vertrat. Ein Höhepunkt seiner Karriere war die Verteidigung von Scholom Schwartzbard im Jahr 1927, der den ehemaligen ukrainischen Präsidenten Symon Petlioura erschossen hatte, da er ihn für die Pogrome verantwortlich machte, bei denen seine Familie ums Leben kam. Torrès erlangte durch den spektakulären Freispruch für Schwartzbard überregionale Bekanntheit.
Torrès war von 1919 bis 1928 mit der jüdischen Jeanne Levylier verheiratet, die später als Schulgründerin und als letzte Frau des französischen Präsidenten Léon Blum bekannt wurde. Aus dieser Ehe stammen zwei Söhne. Ab 1930 war er mit der Widerstandskämpferin Suzanne Rosambert verheiratet, die später den französischen General Jacques Massu heiratete. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Aktivitäten geriet Torrès während der deutschen Besatzung Frankreichs ins Visier der Besatzungsmächte. In seiner Autobiografie berichtet er von wiederholten Durchsuchungen seiner Wohnung und der Beschlagnahme seiner Besitztümer.
Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs musste Torrès seine Position im französischen Informationsministerium aufgeben und floh schließlich in die USA. Dort lehrte er Strafrecht und war als Schriftsteller und Journalist tätig. 1945 kehrte er nach Frankreich zurück und wurde später Senator für die Rassemblement du Peuple Français (RPF), eine von Charles de Gaulle gegründete politische Bewegung.
Die Bücher, die nun an die Erben zurückgegeben wurden, stammen überwiegend aus den 1920er und 1930er Jahren und sind mit handschriftlichen Widmungen von Autoren versehen. Die Sammlung umfasst sowohl politische als auch belletristische Werke. Unter den bekanntesten Autoren, die Torrès ihre Bücher widmeten, finden sich namhafte Persönlichkeiten wie der Dichter Gabriel Faure und der Schriftsteller André Maurois.
Die Rückgabe dieser Bücher stellt nicht nur einen symbolischen Akt der Wiedergutmachung für das Unrecht dar, das während des Nationalsozialismus geschehen ist, sondern auch einen wichtigen Schritt in der Aufarbeitung der Geschichte und der Provenienzforschung.