
In einer aktuellen Untersuchung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), die im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) durchgeführt wurde, zeigt sich, dass das Konzept der „15-Minuten-Stadt“ in Deutschland weit verbreiteter ist, als viele bisher angenommen haben. Dieses Modell sieht vor, dass grundlegende Einrichtungen wie Supermärkte, Schulen oder Arztpraxen in einem Umkreis von maximal 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind. Dr. Brigitte Adam, die Projektleiterin der Studie, betont, dass zahlreiche Gemeinden, insbesondere solche mit kompakten Siedlungsstrukturen, bereits optimale Bedingungen für kurze Wege bieten.
Die Studie hat alle deutschen Kommunen nach einheitlichen Kriterien untersucht. Dabei wurden insgesamt 24 verschiedene Einrichtungen des alltäglichen Lebens erfasst, wie beispielsweise Einzelhandelsgeschäfte, Bildungseinrichtungen, medizinische Praxen, Spielplätze, Parks, Gastronomiebetriebe und Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs. Die Berechnungen basierten auf der Gehgeschwindigkeit eines durchschnittlichen Erwachsenen, wobei auch unterschiedliche Geschwindigkeiten, wie die von älteren Menschen oder Kindern, in einem speziellen Index berücksichtigt wurden. Für Einrichtungen, die seltener besucht werden, wie beispielsweise Schwimmbäder oder Facharztpraxen, wurde die Geschwindigkeit auf das Radfahren angepasst.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass in Deutschland im Durchschnitt etwa 75 Prozent dieser Einrichtungen innerhalb von 15 Minuten erreichbar sind. In den am besten bewerteten Städten sind die Ziele sogar nur zwischen sechs und acht Minuten entfernt. Dr. Adam weist darauf hin, dass es ein verbreiteter Irrtum ist, dass nur große Städte oder trendige Stadtviertel kurze Wege ermöglichen. Die Daten belegen, dass auch in großen Wohnsiedlungen und Gartenstädten funktional durchmischte Quartiere mit kurzen Wegen realisierbar sind.
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass von gut erreichbaren Quartieren Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft profitieren. Die Befürchtung, dass eine verbesserte Nahversorgung zur Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte führt, hat sich in den Daten nicht bestätigt. Vielmehr zeigt die Untersuchung, dass eine solche Nahversorgung die Lebensqualität aller Stadtbewohner verbessert, Nachbarschaften stärkt und zur Belebung der Quartiere beiträgt. Zudem hat die 15-Minuten-Stadt positive Auswirkungen auf die Umwelt und den Klimaschutz.
Dr. Adam hebt hervor, dass es entscheidend ist, die Bedingungen für Fußgänger und Radfahrer zu verbessern, um die Menschen zu motivieren, ihre Alltagswege aktiv zurückzulegen. Die Studie bietet konkrete Handlungsempfehlungen, die ohne umfangreiche gesetzliche Neuerungen oder großflächige Umbauprojekte umgesetzt werden können. Die Zusammenarbeit zwischen Verkehrs- und Stadtplanung wird als essenziell erachtet.
Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen gehören unter anderem die Förderung der Nachverdichtung und Nutzungsmischung in weniger dicht bebauten Wohngebieten, beispielsweise durch die Umnutzung leerstehender Gebäude oder die Mischnutzung von Flächen. Ein weiterer Vorschlag ist die Verbesserung der Infrastruktur für aktive Mobilität, was breitere Gehwege, sichere Radwege und eine höhere Aufenthaltsqualität umfasst, während gleichzeitig der individuelle Autoverkehr reduziert wird.
Zusätzlich wird empfohlen, die Kommunikation mit den Bürgern zu stärken und deren Bedürfnisse aktiv zu ermitteln. Dies soll dazu beitragen, Ängste abzubauen, die möglicherweise mit der Einführung der 15-Minuten-Stadt verbunden sind. Dr. Adam betont, dass nicht jede Stadt ein neues Leitbild benötigt, aber das Konzept der 15-Minuten-Stadt einen wertvollen Orientierungsrahmen bietet. Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen können bereits auf der Basis bestehender Gesetze realisiert werden und tragen dazu bei, Städte lebenswerter und gesünder zu gestalten.
Die vollständige Studie, die von den Beratungsinstituten S&W Stadt- und Regionalforschung, dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) und dem Forschungsbüro Scheiner erstellt wurde, ist auf der Website des BBSR einsehbar. Diese Erkenntnisse bieten wichtige Ansätze für die zukünftige Stadtentwicklung in Deutschland und zeigen, wie städtische Räume durch gezielte Maßnahmen optimiert werden können.