
Ein internationales Team von Wissenschaftlern unter der Leitung der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) hat einen bedeutenden Fortschritt in der Bekämpfung invasiver Schädlinge erzielt. Diese bahnbrechende Entdeckung könnte die Zukunft der Schädlingsbekämpfung nachhaltig verändern und eine umweltfreundliche Alternative zu chemischen Insektiziden bieten. Die Forscher haben ein über 35 Jahre altes Rätsel gelöst, indem sie das verantwortliche Gen identifiziert haben, das bewirkt, dass weibliche Mittelmeerfruchtfliegen (Ceratitis capitata) nach einer Hitzebehandlung nicht mehr lebensfähig sind.
Die Sterile Insektentechnik (SIT) ist eine seit über einem Jahrhundert genutzte Methode zur Kontrolle von Insektenpopulationen. Seit der ersten Anwendung im Jahr 1916, bei der Insekten durch Röntgenstrahlen sterilisiert wurden, hat sich diese Technik immer weiterentwickelt. Besonders in den 1950er-Jahren wurde SIT erfolgreich zur Bekämpfung des Neuwelt-Schraubenwurms in den USA eingesetzt. Seitdem hat sich die Methode weltweit etabliert, um invasive Insektenpopulationen in der Landwirtschaft, Tierhaltung und im Gesundheitswesen zu regulieren. Der Erfolg dieser Methode hängt jedoch entscheidend davon ab, dass männliche und weibliche Insekten zuverlässig getrennt werden, da nur sterile Männchen in die Natur entlassen werden.
Ein entscheidender Durchbruch in der Forschung wurde Ende der 1980er-Jahre im Insect Pest Control Laboratory in Seibersdorf erzielt. Damals entdeckten die Wissenschaftler eine Mutation, die als temperaturabhängige Letalität (tsl) bekannt ist, und entwickelten ein Verfahren zur Geschlechtsseparation bei der Mittelmeerfruchtfliege. Diese Mutation führte dazu, dass weibliche Nachkommen nach einer kurzen Hitzebehandlung im Embryonalstadium starben, was die massenhafte Zucht von männlichen Fliegen ermöglichte. Trotz dieses Fortschritts blieb das zugrunde liegende Gen über drei Jahrzehnte unbekannt, was die Anwendung der Methode auf andere Arten erschwerte.
Durch jahrelange molekularbiologische Forschung hat das Team nun das Gen identifiziert, das für die temperaturabhängige Letalität verantwortlich ist. Es handelt sich um eine Punktmutation im Gen der Lysyl-tRNA-Synthetase (LysRS), das in verschiedenen Insektenarten stark konserviert ist. Durch moderne Techniken der Genom-Editierung konnte diese Mutation in Wildtyp-Linien eingeführt werden, was zu dem gleichen Ergebnis führte: Nur Männchen überlebten die Hitzebehandlung.
Kostas Bourtzis, ein Molekularbiologe am FAO/IAEA-Zentrum für Nukleartechniken in Ernährung und Landwirtschaft, beschreibt diese Entdeckung als einen Meilenstein in der Insektenbiotechnologie. Nach drei Jahrzehnten der Forschung steht nun ein präzises molekulares Werkzeug zur Verfügung, mit dem die genetische Geschlechtsseparation bei zahlreichen Insektenarten mit landwirtschaftlicher, veterinärmedizinischer oder medizinischer Relevanz etabliert werden kann. Dieser Fortschritt ist von großer Bedeutung für die globalen Programme zur Sterilen Insektentechnik.
Marc F. Schetelig, Professor für Insektenbiotechnologie an der JLU und Co-Leiter des neu gegründeten „Liebig Centre for Agroecology and Climate Impact Research“, betont, dass die Identifizierung des tsl-Gens eine zentrale Wissenslücke schließt, die einer breiteren Anwendung der genetischen Geschlechtsseparation im Weg stand. Diese Entdeckung ebnet den Weg für spezifische und nachhaltige Strategien zur Bekämpfung von Insekten, ohne auf chemische Insektizide zurückgreifen zu müssen.
Die enge Partnerschaft zwischen der JLU und dem FAO/IAEA-Zentrum wird durch diese Forschung weiter gestärkt. Mit der Ernennung des „Liebig Centre for Agroecology and Climate Impact Research“ als offizielles Kooperationszentrum der IAEA wird die Zusammenarbeit intensiviert, um gemeinsam biotechnologische Werkzeuge für eine nachhaltige Schädlingsbekämpfung weltweit zu entwickeln.
Diese neue Erkenntnis stellt nicht nur einen Fortschritt in der Wissenschaft dar, sondern könnte auch weitreichende Auswirkungen auf die Landwirtschaft und den Umgang mit invasiven Schädlingen haben. Die Zukunft der umweltfreundlichen Schädlingsbekämpfung könnte durch solche innovativen Ansätze revolutioniert werden, was letztlich sowohl ökonomische als auch ökologische Vorteile verspricht.