
Die Energiewende stellt gegenwärtig eine der größten Herausforderungen für Länder, Städte und Regionen dar. Die Notwendigkeit, auf nachhaltige Energiequellen umzusteigen, ist dringlicher denn je, um den Klimawandel wirkungsvoll zu bekämpfen. Jedoch gilt es, die Kosten für das Energiesystem in einem vertretbaren Rahmen zu halten und gleichzeitig die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Diese drei Aspekte – Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit – bilden das sogenannte Energie-Trilemma, ein Konzept, das vom World Energy Council entwickelt wurde, um politische Entscheidungsträger in der Gestaltung zukunftsfähiger Energiesysteme zu unterstützen.
Um eine fundierte Planung der Energieversorgung der Zukunft zu ermöglichen, sind präzise Daten und Modelle nötig. Die Wissenschaft hat bereits verschiedene Modelle entwickelt, die eine Vergleichbarkeit in Bezug auf Nachhaltigkeit und Kosten von unterschiedlichen Energiesystemen ermöglichen. Neu ist jedoch ein Modell, das speziell auf die Berechnung der Versorgungssicherheit abzielt. Forscher der Empa, der ETH Zürich und des Lawrence Berkeley National Laboratory haben unter der Leitung von Matthias Sulzer ein umfassendes Modell entwickelt, das kürzlich in der Fachzeitschrift „iScience“ veröffentlicht wurde.
Das neue Modell zur Versorgungssicherheit hat die Form einer Pyramide mit fünf Stufen, die aufeinander aufbauen und die in ihrer Gesamtheit betrachtet werden müssen. Die unterste Stufe bezieht sich auf die Eigenproduktion und stellt eine einfache Energiebilanz dar: Wie viel Energie kann ein Land im Laufe eines Jahres aus eigenen Ressourcen produzieren im Vergleich zu dem, was es verbraucht? Die zweite Stufe thematisiert die Autonomie und beleuchtet die Notwendigkeit und Sicherheit von Energieimporten.
Ab der dritten Stufe, der Systemadäquanz, wird es dynamischer. Hierbei wird stündlich oder sogar in noch kürzeren Zeitintervallen analysiert, ob der Energiebedarf zu jedem Zeitpunkt durch verfügbare Quellen gedeckt werden kann. Die vierte Stufe betrachtet die Selbstversorgung und fragt, ob das Land in der Lage ist, temporär ohne Importe auszukommen. Die oberste Stufe beschreibt die vollständige Autarkie, bei der ein Land ganzjährig von seiner eigenen Energieproduktion abhängig ist.
Die Pyramide ist nicht nur ein theoretisches Konstrukt, sondern soll als praktisches Werkzeug für die Energieplanung dienen. In einer kürzlich durchgeführten Studie wurde das Modell verwendet, um die gegenwärtige Versorgungssicherheit der Schweiz mit einem Zukunftsszenario für das Jahr 2050 zu vergleichen. Die Analyse zeigt, dass die Schweiz durch den gezielten Einsatz erneuerbarer Energien ihre Energieversorgungssicherheit sogar steigern kann. Zwei wesentliche Faktoren tragen dazu bei: die Diversifizierung der Energiequellen und eine erhöhte Eigenproduktion.
Darüber hinaus spielen Energiespeicher eine entscheidende Rolle, um Schwankungen in der Energieversorgung zu überbrücken. Neben den traditionellen Speichermöglichkeiten, wie Stauseen, wird auch an innovativen Lösungen geforscht, wie etwa der Nutzung von Industrieabwärme und Batteriespeichern. Ein besonders interessanter Ansatz ist die Nutzung von Elektroautos als temporäre Stromspeicher, wenn diese nicht in Gebrauch sind.
Die Forscher betonen, dass eine vollständige Autarkie für die Schweiz in ihrem Zukunftsmodell nicht das Hauptziel sei. Technisch wäre es sicherlich möglich, ein autarkes und nachhaltiges System aufzubauen, jedoch würde dies die Kosten erheblich in die Höhe treiben. Ein ausgewogener Mix aus Importen, Eigenproduktion und verschiedenen Energiequellen ermöglicht es, die drei Dimensionen des Energie-Trilemmas – Kosten, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit – in Einklang zu bringen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das neue Modell zur Versorgungssicherheit eine wertvolle Grundlage für die Planung zukünftiger Energiesysteme darstellt. Es verdeutlicht die Komplexität moderner Energiesysteme und bietet Entscheidungsträgern die Möglichkeit, fundierte Entscheidungen zu treffen, die sowohl ökologischen als auch ökonomischen Anforderungen gerecht werden.