Neue Erkenntnisse zur Artenbildung: Rätsel der tropischen Riffbarsche**

Neue Erkenntnisse zur Artenbildung: Rätsel der tropischen Riffbarsche**

In einer bahnbrechenden Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Science Advances, haben Wissenschaftler des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) zusammen mit internationalen Forschenden die traditionellen Vorstellungen von Artenbildung in Frage gestellt. Im Fokus der Untersuchungen standen die farbenfrohen Hamletbarsche, eine Gruppe von Rifffischen, die in den Gewässern der Karibik verbreitet sind. An diesem multidisziplinären Projekt waren nicht nur Experten des ZMT beteiligt, sondern auch Wissenschaftler von Hochschulen und Forschungseinrichtungen aus Deutschland, Kolumbien, Mexiko, den USA und Großbritannien.

Bereits Charles Darwin erkannte in seinem berühmten Werk Über die Entstehung der Arten (1859), dass neue Arten durch den Prozess der natürlichen Selektion entstehen können und gleichzeitig ein Netzwerk gemeinsamer Vorfahren bilden. Wenn sich eine Art in zwei neue Linien aufspaltet, entwickeln sich im Laufe der Zeit Unterschiede, die jedoch stets Merkmale der gemeinsamen Vorfahren bewahren. Diese evolutionären Beziehungen werden in Form von Stammbaum-Diagrammen dargestellt, die zeigen, wie Organismen durch ihre Vorfahren miteinander verbunden sind.

Traditionell basieren viele Studien zur Artenbildung auf genetischen Unterschieden, um die Verwandtschaft zwischen verschiedenen Arten zu untersuchen und deren Stammbäume zu rekonstruieren. Bei den 19 bekannten Arten der Hamletbarsche jedoch ergaben die genetischen Analysen ein unerwartetes Bild: Trotz erheblicher Unterschiede in der Färbung und einer klaren Präferenz für die Fortpflanzung innerhalb der eigenen Art, war es nahezu unmöglich, einen klaren Stammbaum zu erstellen.

Oscar Puebla, Evolutionsforscher am ZMT, erklärte: „In den meisten Studien zur Artenentwicklung wird mit einem Stammbaum begonnen, der auf genetischen Unterschieden basiert. In unserem Fall gab es jedoch nur eine einzige genetische Trennung, die deutlich zwischen den Arten unterscheidet.“ Martin Helmkampf, einer der Hauptautoren der Studie, ergänzte: „Wir haben die Genome von 335 Fischen sequenziert und waren überrascht, dass wir kein einziges Gen identifizieren konnten, das uns die Rekonstruktion eines Stammbaums ermöglichte. Die genetischen Unterschiede sind so gering, dass selbst umfassende genomische Vergleiche nicht ausreichen.“

Die Studie identifizierte lediglich ein einzelnes Gen, das mit den Unterschieden zwischen den Arten assoziiert ist: das Gen casz1. Dieses Gen ist in der Haut, den Augen und dem Gehirn der Hamletbarsche aktiv und könnte eine Rolle bei der Bildung und Wahrnehmung von Farbmustern spielen, die für die Partnerwahl entscheidend sind. Dennoch ließ sich auch mit diesem Gen kein klarer Stammbaum für die Gruppe erstellen. „Es scheint, dass die Unterschiede zwischen den Arten durch eine Vielzahl von Genen beeinflusst werden, die in unterschiedlichen Kombinationen wirken. Dies macht es in vielen Fällen unmöglich, einen klaren Stammbaum zu erstellen“, erklärte Floriane Coulmance, eine der Hauptautorinnen der Studie.

Die Co-Autorin Iliana Bista vom Senckenberg Forschungsinstitut betonte die Wichtigkeit umfassender genomischer Daten, um die Evolution von Organismen mit komplexen Entwicklungsgeschichten vollständig zu verstehen. Ohne solche Daten wäre das Gesamtbild der Evolution dieser Arten nicht erkennbar.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ergebnisse dieser Studie die weit verbreitete Annahme in Frage stellen, dass Artenbildung immer mit deutlichen genetischen Spuren verbunden ist und durch einfache Aufspaltungsprozesse erfolgt. Die Erkenntnisse legen nahe, dass sich neue Arten schnell und durch Veränderungen in einer begrenzten Anzahl von Schlüsselgenen entwickeln können. Dies stellt einen faszinierenden Aspekt der Evolution dar und zeigt, wie Artenvielfalt auf unserem Planeten entsteht. Die Ergebnisse dieser Forschung erweitern unser Verständnis der biologischen Diversität und der Mechanismen, die hinter der Entstehung neuer Arten stehen.