
Im Sommer 2022 kam es in der Oder zu einem verheerenden ökologischen Unglück, als die Brackwasseralge Prymnesium parvum massive Fischsterben verursachte. Schätzungen zufolge verloren rund 1.000 Tonnen Fische, sowie Wasserschnecken und Muscheln, durch die toxischen Effekte dieser Alge ihr Leben. Eine aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), veröffentlicht im Journal Ecotoxicology and Environmental Safety, beleuchtet die schädlichen Wirkungen von Prymnesium parvum auf die Blutzellen verschiedener Fischarten in der Oder und legt damit einen Fokus auf die unterschiedlichen Empfindlichkeiten der Arten gegenüber den produzierten Giften.
Die toxischen Substanzen, bekannt als Prymnesine, zeigen eine variierende Wirkung auf die verschiedenen Fischarten. Eine der möglichen Wirkungsweisen dieser Gifte besteht darin, dass sie direkt mit der Zellmembran interagieren. Dies führt dazu, dass die Zellwände durchlässiger werden, was den Ionenaustausch stört und schließlich dazu führt, dass die Zellen platzen. Bei Blutkörperchen kann dies gravierende Folgen haben, da es zum Stillstand des Gasaustauschs führt und die Fische ersticken können.
Die Forscher untersuchten den speziellen Prymnesium-Stamm „Oder1“, der während der Algenblüte im Sommer 2022 isoliert wurde. Im Rahmen der Studie wurden Blutproben von fünf Fischarten entnommen, die in der Oder vorkommen: Regenbogenforelle, Stör, Barsch, Brachse und Karpfen. Nach der Tötung der Fische wurden die Blutzellen isoliert und 24 Stunden lang unterschiedlichen Konzentrationen der Alge ausgesetzt. Die Forscher analysierten die hämolytische Aktivität, d.h. die Zersetzung der roten Blutkörperchen, und stellten fest, dass sowohl Barsch als auch Karpfen besonders empfindlich auf das Gift reagierten, während Regenbogenforellen eine deutlich robustere Reaktion zeigten. Diese Unterschiede in der Empfindlichkeit könnten auf Variationen in der Struktur und Komposition der Zellmembranen der Blutkörperchen zurückzuführen sein.
Die Erkenntnisse dieser Studie sind nicht nur von ökologischer Bedeutung, sondern auch relevant für die Bewertung giftiger Algenblüten im Allgemeinen. Bisher wurde zur Beurteilung der Toxizität von Prymnesium in der Regel ein Hämolyse-Test an menschlichen Blutkörperchen durchgeführt. Die aktuellen Ergebnisse zeigen jedoch, dass die Testergebnisse erheblich variieren können, abhängig von der Quelle der Blutkörperchen. Besonders sensitiv reagierten die Blutzellen von Barsch und Karpfen auf das Gift.
Zusätzlich hängt die Giftigkeit von Prymnesium parvum stark von den Umweltbedingungen und der Nährstoffverfügbarkeit ab. Während der Algenblüte 2022 erreichte die Konzentration der Algen in der Oder bis zu 100.000 Zellen pro Milliliter, was zu einem massiven Sterben von Fischen und Muscheln führte. Bei einer späteren Algenblüte im Jahr 2024, bei der die Konzentration sogar über 200.000 Zellen pro Milliliter lag, blieben die Auswirkungen hingegen gering, was darauf hindeutet, dass nicht jeder Algenstamm in jedem Jahr die gleiche Toxizität aufweist.
Die Studie ergab zudem, dass die toxischen Effekte erst nach einer gewissen Zeit sichtbar wurden. Während in einer anderen Untersuchung bereits nach einer Stunde toxische Reaktionen festgestellt wurden, benötigte der Prymnesium-Stamm „Oder1“ in dieser Studie über 15 Stunden, um seine schädlichen Wirkungen zu entfalten. Bereits nach 18 Stunden konnten bei niedrigen Konzentrationen von 20.000 Zellen pro Milliliter Unterschiede zwischen den Fischarten festgestellt werden, und nach 24 Stunden war die Anzahl der intakten Erythrozyten bei den meisten Arten stark reduziert.
Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Notwendigkeit, den Zeitpunkt von Toxizitätstests sorgfältig zu wählen, um sicherzustellen, dass die toxischen Effekte nicht über- oder unterschätzt werden. Die Forschung zeigt, dass die Ökologie und die Giftigkeit der Brackwasseralge nicht einfach vorhergesagt werden können, und hebt die Bedeutung der Reduzierung des Salzgehalts in der Oder hervor, um die Resilienz des Ökosystems zu stärken. Die Studie wurde im Rahmen des Projekts ODER∼SO gefördert, das vom Bundesamt für Naturschutz unterstützt wird.