Zeigt die Meeresschnecke Elysia timida Bewusstsein?
Die Meeresschnecke Elysia timida hat einen Weg gefunden, sich die Fotosynthese von Algen nutzbar zu machen. Wie ist das möglich?
Als Naturwissenschaftler gehen wir davon aus, dass sich alle komplexen biologischen Systeme durch evolutionäre Prozesse gebildet haben.
Ein Evolutionsprozess besteht aus drei Schritten. Zuerst entsteht Neues, möglicherweise noch nie Dagewesenes. Im zweiten Schritt wird das Neue mit Vorhandenem kombiniert und zur Auswahl dargeboten. Im dritten und letzten Schritt wird eine Auswahl unter dem Dargebotenen getroffen. Die Auswahl kann passiv durch Wechselwirkungen mit der Umwelt geschehen oder aktiv unter Berücksichtigung der individuellen Neigung, bestimmte Ziele zu verfolgen (= Bedürfnisse).
Schlundsackschnecken, zu denen Elysia timida gehört, ernähren sich fast ausschließlich von Algen. Das Verdauungsorgan der Schnecke zerkleinert und zerlegt die gefressenen Algen. Neu ist wohl (Schritt 1 der Evolution), dass die Schnecke und speziell ihr Darm zwischen verschiedenen Zellbestandteilen der zerlegten Algen unterscheiden kann. Die Schnecke verfügt ganz offensichtlich über die Möglichkeit, selektiv bestimmte Zellbestandteile zu verdauen, oder auch nicht, obwohl sich die einzelnen Bestandteile nicht prinzipiell unterscheiden und andere Meeresschnecken ungeachtet der unterschiedlichen Algenbestandteile die komplette Alge verdauen.
Für den zweiten Schritt des Evolutionsprozesses ergeben sich daraus folgende Kombinationen:
a. Alle Zellbestandteile verdauen, …
b. Chloroplasten verdauen, …
c. Alles verdauen außer Chloroplasten.
Im dritten Schritt des Evolutionsprozesses kommt es zu einer Auswahl unter den drei dargebotenen Möglichkeiten. Bei einer passiven Auswahl durch die Umwelt bleibt entweder alles beim Alten (Kombination a) oder das Neue ist im Regelfall von entscheidendem Vorteil für Lebenserhalt und Fortpflanzung. Bei einer aktiven Auswahl können Bedürfnisse die Wahl bestimmen und es kann b oder c zum Tragen kommen.
Die Biologen gehen davon aus, dass die Elysia-Schnecken in Hungerphasen Energie von den Chloroplasten beziehen, die im Darm weiterhin Fotosynthese betreiben. Ein Experiment zeigte allerdings, dass die Schnecken auch ohne Fotosynthese der Chloroplasten überleben. Nach zwei Monaten im Dunkeln waren die Schnecken so lebendig wie zuvor. Jetzt vermuten die Forscher, die Schnecke profitiert nicht unbedingt sofort von den Chloroplasten, sondern erst dann, wenn die Darmzellen diese in Hungerphasen abbauen.
Für eine passive Auswahl durch die Umwelt im dritten Schritt der Evolution spricht, dass man aus dem Vorhandensein der Chloroplasten im Darm einen geringfügigen Vorteil für den Lebenserhalt ableiten kann. Doch ist dieser Vorteil entscheidend?
Gegen das Wirken eines passiven Prozesses spricht das Erkennen des Unterschieds verschiedener Zellbestandteile der Algen durch die Schnecke selbst bzw. durch ihre Darmzellen. Es gibt also etwas, was sich auf unterschiedliche Anforderungen einstellen kann.
Was die Auswahl im Evolutionsprozess betrifft, so ist die Wahl der Evolution auf Kombination c gefallen, alles wird verdaut außer den Chloroplasten. Allerdings hat die Schnecke anscheinend die Möglichkeit, in Hungerphasen die Kombination b zu wählen, nämlich die Chloroplasten zu verdauen.
Es existiert eine nicht determinierte Entscheidungsmöglichkeit zwischen Handlungsalternativen.
Wenn man zudem davon ausgeht, dass die Schnecke das ganz einfache Bedürfnis hat, sich ihr Leben etwas komfortabler zu gestalten, indem sie die Chloroplasten Sauerstoff und Zucker produzieren lässt, dann sind alle Kriterien für den informationsverarbeitenden Prozess erfüllt, der laut Definition als Bewusstsein bezeichnet werden kann.
Der gleiche Bewusstseinsprozess, der Entscheidungen trifft, wann die Chloroplasten Sauerstoff und Zucker produzieren sollen und wann sie zu verdauen sind, hat auch beim dritten Evolutionsschritt die aktive Auswahl durchgeführt.
Sicher handelt es sich nicht um einen hoch entwickelten Bewusstseinsprozess wie das Selbst- oder Oberbewusstsein beim Menschen. Es ist eher ein dem Unterbewusstsein vergleichbarer Prozess. Beim Menschen führt das Unterbewusstsein viele Entscheidungen und körperliche Steuerungen durch. Nur das Wichtigste wird zur Entscheidung dem Oberbewusstsein zugeführt. Und was das Wichtigste ist, das entscheidet ebenfalls das Unterbewusstsein.
Die Elysia-Schnecke zeigt uns mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass einfache Bewusstseinsprozesse selbst auf ihrer nicht allzu hohen Entwicklungsstufe wirken.
Es ist sogar anzunehmen, dass eine einfache Art von Bewusstseinsprozessen ab Anbeginn der Evolution beim Aufstieg des Lebens mitgewirkt hat. Denn als reine Zufallsprozesse und ohne aktive Auswahl ist die Entstehung von Eiweißmolekülen, DNA, Archaeen, Eukaryonten, Mitochondrien oder Plastide mehr als unwahrscheinlich….
Zum Buch:
Die letzten Ursachen: Das Buch der Naturerkenntnis (Wissenschaftliche Bibliothek)