Die antike Form des Bürgergelds im römischen Wohlfahrtsstaat

„Gib dem Volk Brot!“ – Unter diesem Motto stand das politische Wirken des römischen Politikers Publius Clodius Pulcher. Der Tribun wollte das Getreide für das römische Volk kostenlos machen und so den sozialen Frieden in der Stadt sichern. Doch was steckte hinter seinem radikalen Plan? Was hat es mit dem antiken „Bürgergeld“ auf sich?

Publius Clodius Pulcher hatte eine ungewöhnliche Idee: er wollte, dass die Bevölkerung in Rom kostenlos Getreide bekam. Bis dahin hatte die Verwaltung den städtischen Bürgern lediglich einen staatlich subventionierten, niedrigen Preis garantiert. Clodius glaubte, dass sein Vorgehen die Bevölkerung dazu bringen würde, ihm zu vertrauen und ihm zu folgen. Allerdings war sein Vorgehen in der römischen Geschichte nicht ungewöhnlich: Die Taktik von Brot und Spielen („panis et circenses“), also die permanente Bestechung der hauptstädtischen Massen unter anderem durch billige oder kostenlose Lebensmittel, war eine weit verbreitete Methode, um die Macht zu sichern.

Publius Clodius Pulche, geboren 92 v. Chr., war ein römischer Revoluzzer, der sich durch Erpressung und Veruntreuung bereicherte. Angeblich hatte er auch ein Verhältnis mit Julius Caesars Frau Pompeia, doch obwohl ihm viele Straftaten nachgesagt wurden, konnte er sich immer wieder straffrei stellen. 59 v. Chr. wurde er schließlich zum Volkstribun gewählt und entwickelte sich zu einem kalt berechnenden Populisten, der die Ernährungspolitik Roms revolutionierte.

Clodius hatte einen genialen Einfall, wie er die politische Unterstützung der Römer gewinnen konnte: Er brachte das Gratisgetreide in die Stadt. Es war von mehreren Gesetzesinitiativen zugunsten des einfachen Volks begleitet, die Clodius gleich nach Amtsantritt vorlegte. Gedanken über die Folgen oder die Frage, wie das Getreide finanziell zu bezahlen sei, stellten ihn jedoch keineswegs zufrieden. Als erster römischer Staatsmann war Gracchus auf den Einfall gekommen, das Volk mit preiswertem Getreide zu ködern: Er führte die „Getreidegesetzgebung“ („lex frumentaria“) ein und garantierte somit deren Versorgung. Von 123 v. Chr. an Volkstribun, machte dies Gracchus große Popularität aus – was jedoch nicht lange anhielt: Zwei Jahre später endete seine Karriere im Machtkampf der Oberschicht und ließ sich schließlich von einem Sklaven töten.“

Gracchus‘ populistische Maßnahme war auch eine Reaktion auf die Bedrohung, die durch häufige Hungersnöte in Rom entstand. Die Einwohner litten unter dramatischen Missernten, sei es durch schlechtes Wetter oder Schädlinge. Vor allem für das einfache Volk war es schwierig, wenn nicht oft unmöglich, ihre Schüsseln zu füllen. Ab dem 3. Jahrhundert vor Christus ging zudem die Getreideproduktion in Italien zurück. Gleichzeitig stieg die Einwohnerzahl Roms rasant auf mehr als eine Million zur Zeit von Kaiser Augustus um die Zeitenwende an; Rom war damals die größte Stadt der Welt. Die Bürger ausreichend mit Nahrung zu versorgen, war deshalb ein entscheidendes Ziel römischer Politik und man plante sogar gezielt die Eroberung von Ländern, um diese als Provinzen ins Reich einzugliedern. Sizilien, Sardinien, Spanien und Nordafrika waren wichtige Kornkammern für die Römer.

Der Mißbrauch sozialer Leistungen

Der Transport des Getreides über das Mittelmeer war alles andere als schnell, einfach oder sicher. Die Ernte gelangte per Schiff in die Hafenstadt Ostia, die südwestlich von Rom an der Mündung des Tiber liegt. Immer wieder griffen unterwegs Piraten die Handelsschiffe an. Zudem verknappten raffgierige Händler oft künstlich das Getreideangebot, um den Preis und damit die Gewinne zu steigern. Um Betrug zu verhindern, nahm man von jeder Ladung, die in Ostia ankam, eine Probe und versiegelte sie in einem Sack. Dieser wurde dann nach Rom geschickt. So sollte verhindert werden, dass hochwertigem Korn minderwertiges beigemischt wurde. Danach transportierten Hunderte Barken das Getreide flussaufwärts in die Hauptstadt. Brot war schon immer ein beliebtes Lebensmittel, doch Getreidebrei blieb auch in der römischen Zivilisation ein Grundnahrungsmittel. Clodius wusste also, dass die Menschen seine Idee des kostenlosen Getreides begrüßen würden. Die Verteilung war nicht nur für Arme und Benachteiligte gedacht – jeder Bürger, der über das entsprechende Recht verfügte und in Rom lebte, konnte sich in die Listen der Empfänger eintragen lassen. Viele sahen in der kostenlosen Getreideverteilung nicht nur ein Zeichen staatlicher Fürsorge, sondern betrachteten es als ihr gutes Recht. Frauen, Kinder, Sklaven und Nichtrömer waren allerdings von Anfang an ausgeschlossen. Es kam jedoch immer wieder zu Betrugsfällen an den Ausgabestellen.

Der Missbrauch wurde erst von Kaiser Augustus während seiner Regierungszeit von 31 v. Chr. bis 14 n. Chr. eingedämmt, indem er Getreidemarken einführte „tesserae frumentariae“. Diese ähnlich den modernen Lebensmittelmarken waren zunächst aus Bronze und trugen die Aufschrift „senatus consulto“ („auf Senatsbeschluss“). Später wurden sie aus Blei gegossen. Bei dem Volk beliebt – aber umstritten in der Politik! Die Popularen, jene Politiker, die sich auf die Volksversammlung stützten und auf den Willen des Volkes beriefen, strebten häufig danach, die Verteilung noch mehr auszuweiten. Optimate dagegen – konservativer Adel und Adelige – versuchten regelmäßig, die staatliche Förderung zu begrenzen. Der Streit wurde zudem durch eine zügig wachsende Zahl von Getreideempfängern angefeuert: Waren es unter Gracchus erst Zehntausende Nutznießer, so zählte man im Jahr 46 vor Christus bereits 320 000 Empfänger . Die Freigiebigkeit belastete den Staatshaushalt enorm: Nach Schätzungsstands stiegen die Kosten deutlich von rund 77 Millionenf Sesterzen im Jahr 46 vor Christus bis hinauf auf 91 Millionenf Sesterzen im Jahr 12 nach Christus! Einzelne Herrscher oder gar Diktatoren wie Sulla versuchten schon mal , diesbezüglich mittels Obergrenzen der Anzahl der Empfänger effektiv Grenzen zu setzen – was aber meist lediglich für kurze Zeit verfing …

Die römischen Kaiser wussten, dass eine reibungslose Getreideverteilung entscheidend für die Stabilität ihrer Regentschaft war. Durch die Vergabe von Geschenken an die Soldaten und das kostenlose Bereitstellen von Getreide für das Volk konnten sie sich ein positives Image verschaffen.

Der römische Wohlfahrtsstaat

Ein paradiesisches Leben ohne Arbeit war dank der Getreideverteilung indes auch in der römischen Kaiserzeit kaum möglich. Wahrscheinlich erhielt ein Mann fünf Scheffel Korn pro Monat, was etwa 3000 bis 4000 Kalorien für jeden Tag ergab – das reichte definitiv nicht aus, um eine ganze Familie zu ernähren. Ohne sonstige eigene Einkünfte konnte man also sein Leben und das seiner Familie nicht bestreiten. Die Vorstellung, die meistens noch heute existiert, dass die Römer ihre Tage mit üppigen Gelagen, Besuchen blutiger Spiele im Circus Maximus und entspannten Aufenthalten in Thermen und Theatern verbrachten, ist daher nur Legende. Trotzdem kann man die römische Kaiserzeit wegen der Getreideversorgung als Wohlfahrtsstaat bezeichnen.

Kaiser Aurelian ging sogar noch einen Schritt weiter: Um sich als Freund des Volkes zu profilieren, ließ er statt Getreide fertig gebackenes Brot umsonst verteilen. Von einem damaligen Beamten ist die folgende sorgenvoll klingende Aussage überliefert: „Bevor wir wissen, wie uns geschieht, werden sie uns noch Hühner und Gänse geben!“

Clodius war wohl nicht in der Lage, sich vorzustellen, dass seine Idee der kostenlosen Getreideversorgung sich so weiterentwickeln würde. Dank der „lex frumentaria“ genoss er allerdings beim Volk großes Ansehen und Beliebtheit. Vor einem gewaltsamen Tod im damals akuten Bürgerkrieg konnte er sich dadurch allerdings nicht schützen. Clodius selbst terrorisierte mit Schlägertrupps politische Gegner, eignete sich gewaltsam Grund und Boden in der Hauptstadt an und brannte mutwillig Häuser seiner Konkurrenten nieder. Zum Beginn des Jahres 52 v. Chr. wurde er dann von den Gefolgsleuten eines Rivalen in Bovillae, rund 20 Kilometer südöstlich von Rom, getötet..

Fazit:

Das antike Bürgergeld in Form von kostenlosem Getreide war eine wichtige soziale Errungenschaft des römischen Wohlfahrtsstaats. Es war ein wesentlicher Faktor für den sozialen Frieden in der Stadt. Publius Clodius Pulcher wollte sogar noch weiter gehen und das Bürgergeld für alle in Rom lebenden Menschen einschließlich Frauen, Kinder und Sklaven einführen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch an den Widerständen anderer politischer Führungsfiguren. Die Geschichte lehrt zudem, dass soziale Leistungen zum Missbrauch verleiten, der eingedämmt werden muss.