Deutschland erlebt einen beispiellosen Solarboom, doch was einst als Hoffnungsträger der Energiewende gefeiert wurde, entwickelt sich immer mehr zu einem Alptraum für das Stromnetz. Besonders in süddeutschen Regionen, wo private Solaranlagen auf Dächern und Balkonen boomen, stoßen die Netze bereits heute an ihre Grenzen. Die Folge: Der drohende „Solarinfarkt“ – eine Überlastung des Stromnetzes durch zu viel erzeugten Sonnenstrom. Doch wie konnte es so weit kommen, und was kann man tun, um den Kollaps zu verhindern?
An sonnigen Feiertagen: Wohin mit all dem Strom?
Maik Render, Vorstandssprecher des Nürnberger Energieversorgers N-Ergie, warnt eindringlich: „An sonnigen Feiertagen stoßen unsere Netze schon heute an die Grenzen.“ Besonders in Zeiten, in denen die Industrie stillsteht und kaum Strom verbraucht wird, sorgt die massenhafte Einspeisung von Solarstrom für ernsthafte Probleme. „Wenn zu viel Strom produziert wird, kann das Netz diesen einfach nicht mehr aufnehmen. Irgendwann fliegt die Sicherung raus“, erklärt Render.
Feiertage wie Ostersonntag, an denen viele Menschen unterwegs sind und kaum Energie benötigen, werden somit zu einer Belastungsprobe für die Netze. Das Problem: Strom lässt sich nicht einfach speichern, sondern muss direkt verbraucht werden. Wenn die Sonne jedoch mehr Energie liefert, als benötigt wird, kann das Stromnetz überlastet werden – der Solarinfarkt ist vorprogrammiert.
Balkonkraftwerke: Fluch oder Segen?
Ein weiterer Faktor, der die Lage verschärft, ist der Boom der sogenannten Balkonkraftwerke. Diese kleinen, privaten Solaranlagen, die an Balkonen installiert werden, tragen zwar zur dezentralen Stromerzeugung bei, bringen aber auch neue Herausforderungen mit sich. Da sie nicht steuerbar sind und vor allem tagsüber Strom liefern, während der Verbrauch erst abends ansteigt, wird das Netz zusätzlich belastet.
Render betont, dass es ohne umfassende technische Maßnahmen, wie den Ausbau von Speichern, schwierig wird, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. „Das Stromnetz ist darauf nicht vorbereitet“, erklärt er. Die Speicherung von überschüssigem Strom wird somit zur Schlüsselaufgabe der Energiewende.
Lösungsansätze: Speicher und intelligente Steuerung
Die Lösung des Problems liegt nicht im Stoppen des Solarbooms, sondern in einer besseren Steuerung und Verteilung der erzeugten Energie. Render schlägt vor, die Förderung von Solaranlagen in Regionen zu konzentrieren, die noch unterversorgt sind. Gleichzeitig müsse der Netzausbau in Regionen mit vielen bestehenden Anlagen vorangetrieben werden, um Überlastungen zu vermeiden.
Auch die Einführung intelligenter Speichertechnologien könnte helfen. Diese sollten jedoch nicht nur für den Eigenbedarf der Haushalte arbeiten, sondern netzdienlich agieren. Das bedeutet, dass sie nicht sofort am Morgen, wenn der Strombedarf gering ist, geladen werden, sondern erst dann, wenn die Sonnenstrahlung am stärksten ist und das Netz den Strom am dringendsten braucht. Hier sieht Render eine große Lücke in der aktuellen Praxis.
Fazit: Ohne Netzausbau droht der Kollaps
Deutschland steht bei der Solarenergie vor einem Paradigmenwechsel. Während der Ausbau von Solaranlagen in der Fläche begrüßenswert ist, muss die Infrastruktur dringend nachziehen. Der Solarboom darf nicht zu einem „Solarinfarkt“ führen, bei dem die Netze überlastet und Sicherungen ausgelöst werden. Speichertechnologien, intelligente Steuerung und gezielte Investitionen in den Netzausbau sind die Schlüssel, um die Solarenergie effektiv zu nutzen und die Energiewende nicht ins Stocken geraten zu lassen.
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