
In der Welt der biologischen Forschung gewinnt das Verständnis des Verhaltens von Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum zunehmend an Bedeutung. Forscher des Exzellenzclusters „Kollektives Verhalten“ an der Universität Konstanz haben ein neuartiges Kamerasystem entwickelt, das die dreidimensionale Erfassung der Bewegungen und Körperhaltungen von Wildvögeln ermöglicht. Dieses innovative System, bekannt als „3D-SOCS“ (3D Synchronized Outdoor Camera System), bietet eine flexible und anpassungsfähige Lösung für verschiedene Tierarten und experimentelle Ansätze.
Um das Verhalten von Tieren, wie beispielsweise deren soziale Interaktionen, Wanderverhalten oder die Interaktion mit der Umwelt, besser zu verstehen, sind präzise Daten notwendig. Diese Daten zu sammeln, stellt eine Herausforderung dar, da die meisten herkömmlichen Methoden in kontrollierten Laborumgebungen durchgeführt werden. Das Team aus Konstanz hat das 3D-SOCS-System entwickelt, um diese Lücke zu schließen und die Verhaltensforschung im Freiland zu revolutionieren.
Das System ermöglicht durch die Synchronisation mehrerer Kameras die markerlose und präzise Nachverfolgung der Körperhaltungen von Wildvögeln in ihrer natürlichen Umgebung. Dies stellt einen bedeutenden Fortschritt dar, da frühere Ansätze meist auf Tiere in Gefangenschaft beschränkt waren. Alex Hoi Hang Chan und Michael Chimento, die die Entwicklung des Systems leiteten, betonen, dass 3D-SOCS eine neue Ära in der Erforschung von wildlebenden Tieren eröffnet. Die Methode erlaubt es, kognitive und soziale Verhaltensweisen unter ökologisch relevanten Bedingungen zu untersuchen.
Um die Fähigkeiten des 3D-SOCS-Systems zu demonstrieren, führten die Forscher ein Experiment in einem Waldgebiet in der Nähe des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Möggingen durch, in dem Populationen von Kohl- und Blaumeisen leben. Hier präsentierten sie den Vögeln verschiedene visuelle Reize, darunter Mehlwürmer und einen ausgestopften Vogel. Das Kamerasystem erfasste die Kopfpositionen der Vögel und lieferte wertvolle Informationen über deren Sehfeldnutzung sowie über deren Lateralisation, also die Bevorzugung eines Auges. Diese detaillierten Daten ermöglichen es, Unterschiede in der visuellen Aufmerksamkeit zwischen den Vögeln aufzudecken.
Darüber hinaus bietet 3D-SOCS auch nützliche Werkzeuge für ökologisches Monitoring. Die durch das System gewonnenen Informationen zur Körperhaltung erlaubten den Forschern, das Körpervolumen der Vögel zu schätzen, was als Indikator für deren Gewicht dient. Die Ergebnisse stimmen in hohem Maße mit den Messungen überein, die durch wiegende Verfahren erzielt wurden. Ein entscheidender Vorteil dieser Methode ist die Nicht-Invasivität: Die Vögel müssen für die Datenerhebung nicht eingefangen werden, was eine kontinuierliche Überwachung ihres Gesundheits- oder Körperzustands ermöglicht.
3D-SOCS stellt zudem eine offene Plattform dar. Die Pläne für die Hardware und die Software sind im Sinne der Open Science frei zugänglich, was die Anpassung des Systems an verschiedene Forschungsbedarfe und Tierarten erleichtert. Diese Offenheit fördert die Zusammenarbeit innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft und könnte neue interdisziplinäre Ansätze in der Verhaltens- und kognitiven Ökologie ermöglichen.
Mit der Entwicklung von 3D-SOCS werden die Möglichkeiten für Freilandstudien erweitert, indem sie die Detailgenauigkeit von Laboruntersuchungen mit der ökologischen Validität von Feldbeobachtungen verbinden. Dadurch können Forscher nun sowohl die Stärken kontrollierter Laborstudien als auch die Erkenntnisse aus natürlichen Umgebungen vereinen.
In Anbetracht der wachsenden Nachfrage nach detaillierten Verhaltensdaten in der Ökologie und Naturschutzforschung stellt 3D-SOCS eine durchdachte Lösung dar. Fumihiro Kano, der letzte Autor der Studie, beschreibt das System als ein neues Fenster in das geheime Leben der Tiere, das die Art und Weise, wie wir Tierverhalten untersuchen, grundlegend verändern könnte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das 3D-SOCS-System nicht nur ein innovatives Werkzeug für die Verhaltensforschung ist, sondern auch einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis der Lebensweisen von Tieren in ihrer natürlichen Umgebung leistet. Mit dieser Technologie stehen Wissenschaftlern neue Wege offen, um das Zusammenspiel von Verhalten, Kognition und Umwelt zu erforschen.