
Die Frage, ob Membranen oder Stoffwechselprozesse zuerst in der Evolution des Lebens auftraten, beschäftigt Wissenschaftler seit langem. Eine aktuelle Studie von Forschern der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) bietet neue Einblicke in dieses grundlegende Problem der Biologie. Die Forscher, unter der Leitung von Professor Dieter Braun, untersuchen, wie sich chemische Prozesse ohne die Notwendigkeit von Zellmembranen in wassergefüllten Poren entwickeln konnten. Dies könnte einen Schlüssel zum Verständnis der Ursprünge des Lebens auf der Erde darstellen.
Lebewesen, wie wir sie heute kennen, sind durch komplexe zelluläre Strukturen und Prozesse gekennzeichnet, die in klar definierten Zellmembranen ablaufen. Diese Membranen spielen eine entscheidende Rolle, indem sie den inneren Inhalt der Zelle von ihrer Außenwelt abgrenzen und so eine kontrollierte Umgebung für biochemische Reaktionen schaffen. Dennoch bleibt die Frage: Wie konnten solche Membranen ursprünglich entstehen? Oder anders formuliert: Ist es möglich, dass Stoffwechselprozesse unabhängig von Membranen existieren können?
In ihrer Forschung zeigen die Wissenschaftler, dass einfache thermische Strömungen in wassergefüllten Poren eine Vielzahl chemischer Substanzen anziehen und konzentrieren können. Diese Moleküle, die verschiedene physikalische und chemische Eigenschaften aufweisen, können in einem solchen System miteinander interagieren, auch ohne eine physische Membran. Professor Braun erklärt, dass ein Temperaturgradient in diesen Poren die Funktionen einer Zellmembran simulieren kann, wodurch chemische Reaktionen und Interaktionen in einem geschützten Raum stattfinden können.
Die Forscher simulierten diese Bedingungen in speziellen Laborversuchen, die aus optisch transparenten Platten und dünnen Wasserschichten bestanden. Dabei wurde ein Temperaturgradient über die Pore erzeugt, was dazu führte, dass sich Moleküle, wie Aminosäuren und Nukleotide, am kälteren Ende der Pore sammelten. In diesen Experimenten testeten die Wissenschaftler die Bedingungen, unter denen ein fluoreszierendes Protein, bekannt als Superfolder-GFP, produziert werden kann. Sie fanden heraus, dass die Reaktion nur unter bestimmten Konzentrationsbedingungen aktiv war. Wenn die Moleküle jedoch in ausreichender Menge vorhanden waren, konnte das Protein erfolgreich synthetisiert werden.
Diese Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die Möglichkeiten von Stoffwechselprozessen, die in der Frühzeit der Erde stattfanden, bevor komplexe Zellstrukturen entstanden. Auf der frühen Erde waren zahlreiche wassergefüllte Poren in verschiedenen Größen und Formen vorhanden, die eine Vielzahl von chemischen Reaktionen ermöglichten. Solche Ergebnisse könnten die Vorstellung davon, wie das Leben entstand, revolutionieren und neue Perspektiven für die Biotechnologie eröffnen.
Die Forschung zeigt, dass es möglicherweise Wege gibt, künstliche Zellen zu schaffen, die sich selbst regenerieren, ohne auf die klassische Zellmembran angewiesen zu sein. Der Gedanke, dass der Stoffwechsel als erstes Element des Lebens existieren konnte, eröffnet neue Möglichkeiten für die Entwicklung synthetischer Organismen im Labor. Professor Braun merkt an, dass die Schaffung einer künstlichen Zelle, die sich selbst durch eine Membran ernährt und sich durch Zellteilung vermehrt, bisher eine große Herausforderung darstellte. Die aktuellen Forschungsergebnisse könnten jedoch Wege aufzeigen, wie diese Barrieren in der Zukunft überwunden werden können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Studie der LMU-Forscher nicht nur die Debatte über die Ursprünge des Lebens neu beleuchtet, sondern auch wichtige Impulse für die zukünftige Forschung in der Biotechnologie liefert. Die Vorstellung, dass chemische Reaktionen ohne Zellmembranen stattfinden können, eröffnet neue Horizonte für das Verständnis der biologischen Prozesse, die dem Leben zugrunde liegen. Indem wir die Mechanismen erforschen, die das Leben in seiner einfachsten Form ermöglichten, nähern wir uns möglicherweise dem Rätsel, wie aus einfachen chemischen Reaktionen komplexe lebende Systeme hervorgehen konnten.