
Ein Team von Wissenschaftlern der Technischen Universität München (TUM) und der Universität Bonn hat einen bedeutenden Fortschritt in der präzisen Messung der Bewegungen der Erdachse erzielt. Durch die Entwicklung einer neuartigen Methode, die auf einem hochpräzisen Ringlaser basiert, konnten die Forscher die Schwankungen der Erdachse nun mit einer Genauigkeit messen, die zuvor nur durch komplexe und aufwändige Radioastronomie erreicht werden konnte. Die Ergebnisse dieser bahnbrechenden Studie wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal Science Advances veröffentlicht.
Die Erdachse ist nicht starr, sondern unterliegt verschiedenen Einflüssen, die ihre Position im Raum beeinflussen. Diese Bewegungen, die als Präzession und Nutation bezeichnet werden, sind das Ergebnis der unregelmäßigen Form der Erde sowie der gravitativen Wechselwirkungen zwischen Erde, Sonne und Mond. Das Team unter der Leitung von Prof. K. Ulrich Schreiber, einem Experten für geodätische Astronomie an der TUM, stellte fest, dass die Erdachse aufgrund dieser Faktoren in einem zyklischen Muster schwankt: Der Präzessionszyklus dauert etwa 26.000 Jahre und beeinflusst, welche Sterne über dem Nordpol sichtbar sind. Aktuell zeigt die Erdachse auf den Polarstern, doch in der Zukunft wird sie sich wieder anderen Sternen zuwenden.
Ein besonders interessanter Aspekt der Forschung ist, dass die Messungen der Erdachse nicht gleichmäßig erfolgen. Die Nutation führt zu kleineren, unregelmäßigen Schwankungen, die periodisch auftreten. Diese Effekte sind vielschichtig und beinhalten sowohl langperiodische als auch kürzere Schwankungen, die in Wochen oder sogar Tagen auftreten können.
Die neu entwickelte Messtechnik nutzt einen Ringlaser, der im geodätischen Observatorium der TUM in Wettzell installiert ist. Dieser Ringlaser ermöglicht es, die Bewegungen der Erdachse direkt und kontinuierlich zu erfassen, und das mit einer Genauigkeit, die 100-mal höher ist als die bisherige Methode, die auf Gyroskopen oder anderen Ringlasern beruhte. Im Gegensatz zu den bisherigen Verfahren, die oft mehrere große Radioteleskope auf verschiedenen Kontinenten erforderten, kann der Ringlaser in Wettzell alle notwendigen Messungen mit einem einzigen, kompakten Gerät durchführen.
Ein weiterer Vorteil dieser neuen Technik ist die zeitliche Auflösung der Schwankungen, die nun weniger als eine Stunde beträgt. Bei den bisherigen Methoden mussten Wissenschaftler oft mehrere Tage oder Wochen warten, um die Ergebnisse zu erhalten. Die sofortige Verfügbarkeit der Daten ermöglicht es den Forschern, schneller auf Veränderungen zu reagieren und ihre Modelle entsprechend anzupassen.
Die Messungen, die über einen Zeitraum von 250 Tagen durchgeführt wurden, haben nicht nur die Präzession und Nutation der Erdachse erfasst, sondern könnten in Zukunft auch dazu beitragen, die Auswirkungen der Erdrotation auf die Raum-Zeit-Struktur zu testen. Mit einer weiteren Verbesserung der Stabilität und Genauigkeit des Ringlasers um den Faktor zehn könnte dies zu direkten Tests der Relativitätstheorie führen. Diese Tests könnten beispielsweise den Lense-Thirring-Effekt verifizieren, bei dem die Rotation der Erde den Raum um sie herum beeinflusst.
Die Fortschritte, die durch diese innovative Methode erzielt wurden, haben das Potenzial, unser Verständnis des Planeten Erde und seiner Bewegungen erheblich zu verbessern. Die präzise Vermessung der Erdachse ist nicht nur für die Geodäsie von Bedeutung, sondern hat auch weitreichende Implikationen für Bereiche wie die Klima- und Erdsystemforschung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Arbeit des Teams von TUM und der Universität Bonn einen wichtigen Schritt in der Geowissenschaft darstellt. Mit den gewonnenen Erkenntnissen könnten neue Ansätze zur Untersuchung der Erde und ihrer dynamischen Prozesse entwickelt werden, was letztlich zu einem besseren Verständnis der komplexen Systeme führt, die unseren Planeten prägen.