
Ein Forschungsteam des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) hat eine bedeutende genetische Mutation identifiziert, die eine spätere Blütezeit von Gerste in Regionen mit langen Frühlingstagen fördert. Diese Entdeckung könnte weitreichende Auswirkungen auf die Gerstenerträge haben. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konzentrierten sich auf das Gen PPD-H1 und konnten zeigen, dass die betreffende Mutation, bekannt als SNP22, nach der Domestizierung der Gerste in der südlichen Levante entstanden ist. Diese Erkenntnis widerspricht früheren Annahmen über den Ursprungsort der Gerste und wurde in der renommierten Fachzeitschrift „Theoretical and Applied Genetics“ veröffentlicht.
Im Rahmen ihrer Studie analysierten die Forscher eine umfangreiche Sammlung von über 940 Wildgersten und 1.110 domestizierten Gerstenpflanzen (Hordeum vulgare). Ziel war es, die genetischen Grundlagen für die Blühzeit zu verstehen, insbesondere in Bezug auf die Tageslänge. Die Wissenschaftler sequenzierten den Bereich um das Gen PPD-H1, da sie dort auf kleinere, jedoch entscheidende genetische Veränderungen, sogenannte Einzelbasenaustausche (Single Nucleotide Polymorphism, SNPs), stießen. Diese Veränderungen sind für die Verzögerung der Blüte verantwortlich.
Zusätzlich führten die Forscher Feldversuche durch, bei denen sie die Blühzeiten der Pflanzen an unterschiedlichen Standorten maßen. Durch genomweite Assoziationsstudien (Genome-Wide Association Studies) konnten sie die Gene identifizieren, die die Blühzeit beeinflussen. Um die phänotypische Reaktion auf verschiedene Tageslängen zu untersuchen, testeten sie 41 ausgewählte Genotypen unter kontrollierten Bedingungen für Lang- und Kurztag.
Die Analyse einer 6.000 Jahre alten Gerstenprobe aus der Yoram-Höhle in Israel ermöglichte es den Wissenschaftlern, frühe Formen des PPD-H1-Allels zu identifizieren und den Ursprung des Gens nachzuvollziehen. Die Ergebnisse belegen, dass die Mutation SNP22 eine entscheidende Rolle für die spätere Blüte der Gerste spielt, insbesondere unter Bedingungen mit langen Tagen. Dr. Rajiv Sharma, der Erstautor der Studie, stellte fest: „Unsere Daten zeigen eindeutig, dass diese kleine, aber bedeutende genetische Veränderung im PPD-H1-Gen die Verzögerung der Blüte unter Langtagbedingungen auslöst. Frühere Studien führten zu anderen Annahmen, die wir nun korrigieren konnten.“
Die Mutation, die für die späte Blüte verantwortlich ist, stammt von Wildgersten, die in den trockenen Wüstenregionen der südlichen Levante wuchsen. Diese Eigenschaft trat überraschenderweise erst nach der ursprünglichen Domestizierung der Gerste auf. Dr. Kerstin Neumann, die Leiterin der Arbeitsgruppe „Automatisierte Pflanzenphänotypisierung“ am IPK, erklärte, dass es sich hierbei um eine spätere Anpassung handelt, die der Gerste ermöglichte, sich in Europa auszubreiten. Alle modernen spätblühenden Gerstenvarianten können auf einen gemeinsamen Vorfahren, den Haplotyp H10, zurückgeführt werden, der hauptsächlich in 16 Wildgersten aus Israel vorkommt.
Die Forschungsergebnisse sind von großer Bedeutung, da sie zeigen, dass die spätblühenden Gersten unter dem Druck der Selektion in nördlicheren Regionen mit langen Sommertagen erfolgreich verbreitet wurden. Dies stellt sicher, dass Gerste auch in diesen Gebieten gut gedeihen kann. Die Entdeckung der Mutation SNP22 könnte daher nicht nur zur Verbesserung der Erträge in aktuellen Anbausystemen beitragen, sondern auch neue Perspektiven für die Züchtung von Gerstenlinien bieten, die besser an die klimatischen Bedingungen in verschiedenen Regionen angepasst sind.
Insgesamt verdeutlicht diese Studie die Komplexität der genetischen Anpassungen, die bei der Domestizierung von Pflanzen auftreten, und hebt die Bedeutung der genetischen Forschung für die Landwirtschaft hervor. Die Erkenntnisse könnten dazu beitragen, die Produktivität von Gerste in der Landwirtschaft zu steigern und somit die Ernährungssicherheit in verschiedenen Regionen der Welt zu fördern.