
In einer umfassenden Studie, die über einen Zeitraum von fast vier Jahrzehnten durchgeführt wurde, haben Wissenschaftler des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg signifikante Veränderungen in der Fischpopulation der Elbmündung dokumentiert. Diese Untersuchung, die Daten von 1984 bis 2022 umfasst, zeigt eindrucksvoll, wie Umweltfaktoren die Bestände wichtiger Fischarten im Verlauf der Zeit beeinflusst haben. Die Ergebnisse dieser Forschung wurden kürzlich im Fachjournal „Estuarine, Coastal and Shelf Science“ veröffentlicht.
Die Studie, geleitet von dem LIB-Doktoranden Jesse Theilen, analysierte vierteljährlich erhobene Daten von fünf verschiedenen Stationen entlang des Salzgehaltsgradienten der Elbe. Hierbei wurden die Artenzusammensetzung, die Häufigkeit der Fische sowie verschiedene Umweltfaktoren in allen vier Jahreszeiten erfasst, um den saisonalen Veränderungen der Fischgemeinschaft Rechnung zu tragen. Durch den Einsatz statistischer Methoden konnten die Forscher zeitliche Trends und Zusammenhänge zwischen den Umweltbedingungen und der Fischfauna identifizieren.
Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung war die Feststellung einer Erholungsphase der Fischbestände von den 1980er Jahren bis etwa 2010. In diesem Zeitraum verbesserte sich die Wasserqualität der Elbe erheblich, was zu einem Anstieg der Fischpopulationen führte, insbesondere des Stints (Osmerus eperlanus). Doch seit 2010 beobachten die Forscher einen dramatischen Rückgang der Fischbestände, der über 90 Prozent beträgt. Besonders stark betroffen sind nicht nur der Stint, sondern auch weitere Arten wie die Finte (Alosa fallax), die Flunder (Platichthys flesus) und der Kaulbarsch (Gymnocephalus cernua). Alle Entwicklungsstadien, einschließlich der Larven und Jungfische, sind in Mitleidenschaft gezogen, was die Bestände dieser Arten weiter gefährdet.
Die Ursachen für diesen Rückgang sind vielfältig und umfassen unter anderem die Verschlickung von wichtigen Aufwuchsgebieten, die für das Überleben und Wachstum der Jungfische entscheidend sind. Bei Zander-Jungfischen (Sander lucioperca) und Kaulbarschen wurde ein vermindertes Wachstum festgestellt. Gleichzeitig zeigt sich ein Anstieg bei einigen Meeresfischen wie Hering und Wittling, was auf eine tiefgreifende strukturelle Veränderung der Fischfauna hinweist, die typisch für makrotidale Ästuare ist.
Ein wesentlicher Faktor, der die langfristigen Veränderungen der Fischbestände beeinflusst, ist die Zunahme von Schwebstoffen. Diese resultieren aus verschiedenen menschlichen Eingriffen, wie der Anpassung von Fahrwassern und Unterhaltungsbaggerungen, die die Sedimentierung und damit die Qualität der Lebensräume der Fische negativ beeinflussen. Die hohe Trübung des Wassers erschwert zudem die Nahrungsaufnahme für viele Fischarten. Auch die niedrigeren Abflussmengen infolge von geringeren Niederschlägen tragen zur Verschärfung der Problematik bei, da weniger Sedimente aus dem Ästuar herausgespült werden und der Salzgehalt in ehemals weniger salzhaltigen Bereichen ansteigt, was das ökologische Gleichgewicht gefährdet. Zusätzlich führt ein Sauerstoffmangel während der Sommermonate zu weiteren Belastungen für die aquatischen Organismen.
Die Erkenntnisse dieser Studie verdeutlichen, wie menschliche Aktivitäten die Umweltbedingungen in mesotidalen Ästuaren verändern und damit die Fischfauna beeinflussen. Jesse Theilen betont, dass die Ergebnisse zeigen, dass Fischbestände langfristig stark unter Druck geraten, wenn ihr Lebensraum durch Umweltveränderungen belastet wird. Dies eröffnet neue Perspektiven für weiterführende Forschungsprojekte, wie beispielsweise im Rahmen des Graduiertenkollegs 2530, das sich mit der Rolle von Biota im Kohlenstoffkreislauf von Ästuaren beschäftigt.
Die Untersuchung unterstreicht die Bedeutung langfristiger Datensätze, um die Wechselwirkungen zwischen Umweltwandel und Biodiversität zu erfassen. Nur durch kontinuierliches Monitoring können Trends erkannt und wirksame Strategien zum Schutz wertvoller Lebensräume, wie der Elbmündung, entwickelt werden. Die Ergebnisse der Forschung sind von entscheidender Bedeutung, um gezielte Maßnahmen zum Schutz der Fischbestände und ihrer Lebensräume zu formulieren.