
Die Mauereidechsen, auch bekannt als Podarcis muralis, zeigen in städtischen Umgebungen ein überraschend geselliges Verhalten, das im Gegensatz zu ihrer typischen Territorialität steht. Eine aktuelle Untersuchung der Universität Bielefeld hat ergeben, dass diese Reptilien in urbanen Gebieten deutlich sozialer agieren als in ländlichen Regionen. Diese Erkenntnisse stammen aus einer Studie, die in Kroatien durchgeführt wurde und die sozialen Interaktionen der Eidechsen in verschiedenen Lebensräumen analysierte.
Die Forschung, geleitet von Dr. Kristina Nienhaus und der Doktorandin Avery Maune, beleuchtet die Anpassungsfähigkeit der Mauereidechsen an die Herausforderungen des Lebens in Städten. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Eidechsen in städtischen Umgebungen eine Vielzahl von sozialen Kontakten pflegen und stabilere Beziehungen aufbauen als ihre Artgenossen, die in weniger urbanisierten Gebieten leben“, erklärt Maune. Diese Beobachtung ist besonders bemerkenswert, da Mauereidechsen normalerweise als sehr territoriale Tiere bekannt sind, die dazu neigen, sich voneinander fernzuhalten.
Um die sozialen Strukturen der Eidechsen in urbanen Lebensräumen zu untersuchen, verwendeten die Wissenschaftler eine Methode der Sozialnetzwerkanalyse. Diese Technik ist in der Verhaltensforschung weit verbreitet und ermöglicht es, die Beziehungen innerhalb einer Tierpopulation sichtbar zu machen. Die Analyse ergab, dass die Eidechsen in Städten nicht nur mehr Kontakte knüpfen, sondern auch in Gruppen häufiger anzutreffen sind. Die Forscher führen diese Veränderungen auf die besonderen Lebensbedingungen in städtischen Umgebungen zurück.
In städtischen Gebieten sind die Lebensräume oft durch versiegelte Flächen geprägt, die den Tieren kaum Verstecke bieten. Zudem sind Nahrungsquellen und Sonnenplätze ungleich verteilt. Diese Gegebenheiten zwingen die Eidechsen, näher zusammenzurücken, was in der Natur ungewöhnlich ist. Die Nähe zu anderen Eidechsen fördert eine höhere Toleranz gegenüber Nachbarn, was in freier Wildbahn nicht zu beobachten ist.
Die Wissenschaftler betonen, dass die Entwicklung neuer sozialer Strategien in urbanen Lebensräumen für das Überleben von Arten entscheidend sein könnte. „Die Fähigkeit, sich an veränderte Bedingungen anzupassen und soziale Verhaltensweisen zu entwickeln, wird für viele Arten in städtischen Umgebungen von Bedeutung sein“, sagt Maune weiter. Diese Forschung ist auch Teil des Sonderforschungsbereichs NC³ (Niche Choice, Niche Conformance, Niche Construction), der sich mit der Frage beschäftigt, wie Tiere ihre ökologischen Nischen gestalten und sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen.
Die Studie wurde von einem interdisziplinären Team durchgeführt, das nicht nur aus Mitgliedern der Universität Bielefeld, sondern auch aus Experten von der Universität Zagreb und vom Collegium Hellveticum in Zürich besteht. Die enge Zusammenarbeit verschiedener Institutionen unterstreicht die Bedeutung dieser Forschung und zeigt das Interesse an der Untersuchung urbaner Ökosysteme.
Die Ergebnisse dieser Studie haben weitreichende Implikationen für das Verständnis der Anpassungsmechanismen von Tieren in städtischen Lebensräumen. Indem die Mauereidechsen soziale Bindungen eingehen und in Gruppen leben, zeigen sie eine bemerkenswerte Flexibilität, die es ihnen ermöglicht, in einem Lebensraum zu gedeihen, der auf den ersten Blick als unwirtlich erscheint.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die sozialen Interaktionen von Mauereidechsen in urbanen Umgebungen nicht nur faszinierende Einblicke in das Verhalten dieser Tiere bieten, sondern auch wichtige Erkenntnisse für den Naturschutz und das Management urbaner Ökosysteme liefern. Die Fähigkeit, sich an städtische Bedingungen anzupassen und soziale Strukturen zu entwickeln, könnte entscheidend für das Überleben vieler Arten in einer sich schnell verändernden Welt sein.