
Ein bemerkenswerter Eisbohrkern, entnommen vom Dôme du Goûter im Mont-Blanc-Massiv, stellt ein wertvolles Klimaarchiv dar, das Einblicke in die klimatischen Bedingungen der letzten 12.000 Jahre gewährt. Wissenschaftler der Universität Heidelberg haben gemeinsam mit einem internationalen Team die bereits 1999 gewonnenen Proben detailliert untersucht und datiert. Bei dieser Analyse kamen innovative Methoden zum Einsatz, darunter die Radiokarbonmethode und eine neuartige quantenphysikalische Technik zur Datierung jüngerer Eisschichten.
Der Eisbohrkern ist etwa 40 Meter lang und enthält Gletschereis, das bis zum Ende der letzten Eiszeit zurückreicht. Damit ist er der erste Eisbohrkern aus den europäischen Alpen, der eine solch umfassende chronologische Aufzeichnung bietet. Die Analyse der Eisschichten ermöglicht es den Forschern, Rückschlüsse auf vergangene Umweltbedingungen zu ziehen. Diese Informationen sind von entscheidender Bedeutung, da Gletschereis und die Eisschilde in den Polarregionen über viele Jahre hinweg aus abgelagertem Schnee gebildet werden und somit wertvolle Daten über historische Klimaveränderungen speichern.
Im Gegensatz zu den polaren Eisbohrkernen, die bis zu 800.000 Jahre alte Informationen enthalten können, sind alpine Eisbohrkerne normalerweise nicht älter als einige Jahrtausende. Der neu untersuchte Eisbohrkern bietet jedoch eine durchgehende Chronologie, die das gesamte Holozän und sogar die Zeit vor der letzten Kaltzeit umfasst. Dies eröffnet den Wissenschaftlern neue Perspektiven auf die klimatischen und ökologischen Veränderungen in den Alpenregionen.
Die Forscher analysierten die stabilen Wasserisotope und die in dem Eis enthaltenen Partikel wie Staub und Aerosole, die aus der Luft transportierte chemische Verbindungen repräsentieren. Diese Analysen sind entscheidend, um die klimatischen Bedingungen der Vergangenheit besser zu verstehen. Zudem verwendeten die Wissenschaftler eine Kombination aus zwei Datierungsmethoden, die sich auf die Zählung radioaktiver Isotope stützen. Während die etablierte C-14-Methode für ältere Eisschichten Anwendung fand, wurde das neuartige Verfahren der Atom Trap Trace Analysis (ATTA) für die jüngeren Schichten genutzt, um das seltene Isotop Argon-39 nachzuweisen.
Die Ergebnisse zeigen, dass es während des Übergangs von der letzten Eiszeit zum Holozän eine Temperaturdifferenz von etwa drei Grad Celsius gab, was sich auf die Sommertemperaturen bezieht. Diese Erkenntnisse sind besonders relevant, da der Winterschnee am Dôme du Goûter häufig durch Erosion verloren geht. Außerdem deuten die Phosphorkonzentrationen im Eis darauf hin, dass sich nach der letzten Eiszeit Wälder ausbreiteten, begünstigt durch das wärmer werdende Klima.
Ein weiterer Aspekt der Forschung ist die Möglichkeit, die Entwicklung menschlicher Gesellschaften im späten Holozän zu beleuchten, da die Alpenregionen in der Nähe menschlicher Siedlungen liegen. Die Daten zeigen Veränderungen in der Landnutzung, einschließlich der Rodung von Wäldern im Zuge der Industrialisierung. Auch die in den Eisschichten nachgewiesenen Konzentrationen von Meersalz und Staub sind von Bedeutung, da diese Aerosole das regionale Klima beeinflussen können.
Die Analyse des Eisbohrkerns legt nahe, dass der Gehalt an Meersalz nach der letzten Eiszeit abgenommen hat. Dies könnte auf eine Verminderung der Winde an der westlichen Küste Europas hindeuten. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass die Staubkonzentrationen während der letzten Eiszeit nicht nur doppelt so hoch, sondern sogar achtmal höher waren als im Holozän. Dies könnte auf verstärkte Staubemissionen aus der Sahara hinweisen, die auch heute noch eine bedeutende Quelle für Staub in Europa darstellen.
An dieser bedeutenden Forschungsarbeit waren Wissenschaftler aus verschiedenen Institutionen beteiligt, darunter aus Mannheim, Tübingen, Grenoble und Reno. Die ursprüngliche Bohrung wurde 1999 von Forschern aus Grenoble durchgeführt und erhielt Unterstützung von der Europäischen Gemeinschaft. Die aktuellen Untersuchungen wurden von der National Science Foundation der USA sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift „PNAS Nexus“ veröffentlicht worden und stellen einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der klimatischen Veränderungen in den Alpen dar.