
Die Ostsee, ein einzigartiges Ökosystem, hat über Jahrtausende hinweg eine bemerkenswerte Stabilität in den Populationen ihrer Kieselalgen bewahrt. Diese Algen sind nicht nur ein zentraler Bestandteil des marinen Nahrungsnetzwerks, sondern tragen auch erheblich zur Sauerstoffproduktion und Kohlenstoffbindung bei, was sie zu wichtigen Akteuren im globalen Klimageschehen macht. Doch der Einfluss menschlicher Aktivitäten, insbesondere in den letzten Jahrhunderten, hat zu signifikanten Veränderungen in der genetischen Zusammensetzung dieser Algen geführt, wie eine aktuelle Studie unter der Leitung von Forscherinnen der Universität Konstanz zeigt.
In der besagten Studie wurde die genetische Diversität der Kieselalgenart Skeletonema marinoi über einen Zeitraum von 8.000 Jahren untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die genetischen Muster dieser Algenpopulationen über lange Zeiträume hinweg weitgehend stabil waren. Erst mit der zunehmenden Nutzung der Ostsee durch den Menschen, insbesondere seit dem Mittelalter, sind beschleunigte und irreversible Veränderungen in der genetischen Zusammensetzung festzustellen. Diese Veränderungen sind nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ, was darauf hindeutet, dass der Mensch erheblichen Einfluss auf die genetische Stabilität dieser Organismen hat.
Um die genetische Geschichte der Kieselalgen zu rekonstruieren, führten die Wissenschaftlerinnen Sedimentbohrungen am Meeresboden der Ostsee durch. Die entnommenen Bohrkerne aus verschiedenen Regionen, wie dem östlichen Gotlandbecken und dem Finnischen Meerbusen, fungieren als Zeitkapseln, die alte DNA enthalten. Diese DNA ist nach dem Tod der Organismen im Sediment über Jahrtausende hinweg erhalten geblieben. Durch die Analyse dieser Schichten konnten die Forscherinnen die genetischen Veränderungen der Kieselalgen über die Jahrhunderte nachverfolgen.
Die Analyse konzentrierte sich auf zwei Zellorganellen der Algen, die Chloroplasten und Mitochondrien, welche jeweils eigenes Erbgut besitzen. Durch den Vergleich der DNA dieser Organellen aus verschiedenen Sedimentschichten war es möglich, die genetische Entwicklung der Algenpopulationen über die Zeit zu dokumentieren. Die Ergebnisse zeigten, dass die genetische Zusammensetzung der Kieselalgen über lange Zeiträume stabil blieb, selbst während extremer klimatischer Veränderungen. In der Vergangenheit gab es zwar zeitweilige Abweichungen, jedoch stellte sich die ursprüngliche Zusammensetzung immer wieder ein.
Erst in den letzten Jahrhunderten, vor allem in Phasen erhöhter menschlicher Aktivität, wie während der Wikingerzeit, der Hansezeit und der Industrialisierung, traten beschleunigte Veränderungen auf. Diese Veränderungen korrelieren nicht mit klimatischen Schwankungen, sondern sind direkt auf menschliche Einflüsse zurückzuführen. Die Intensivierung der Schifffahrt, Küstennutzung und der Nährstoffeintrag aus der Landwirtschaft haben die genetische Stabilität der Algenpopulationen erheblich beeinträchtigt.
Die Forscherinnen betonen, dass selbst Organismen, die nicht direkt vom Menschen genutzt werden, unter den Auswirkungen menschlichen Handelns leiden können. Diese Erkenntnisse sind entscheidend für das Verständnis von ökologischen und evolutionären Dynamiken in marinen Ökosystemen. Die gewonnenen Daten können dabei helfen, zukünftige Schutzmaßnahmen zu entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen der Algenpopulationen zugeschnitten sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ostsee-Kieselalgen über Jahrtausende hinweg eine hohe genetische Stabilität aufwiesen, die jedoch durch menschliche Aktivitäten in den letzten Jahrhunderten stark gefährdet ist. Die Forschungsergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen Umgangs mit marinen Ökosystemen, um die genetische Vielfalt und Stabilität dieser wichtigen Organismen zu bewahren. Die Studie bietet wertvolle Einblicke in die langfristigen Auswirkungen menschlicher Einflüsse auf die Natur und zeigt auf, wie wichtig es ist, die ökologischen Dynamiken zu verstehen, um effektive Schutzstrategien zu entwickeln.