
Ein internationales Forschungsteam, an dem auch Wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena beteiligt sind, hat in der renommierten Fachzeitschrift „Science“ über einen bemerkenswerten Gentransfer bei verwandten Vogelarten berichtet. Diese Studie befasst sich mit der Veränderung der Gefiederfarbe bei Vögeln, die durch genetische Mutationen herbeigeführt wird. Solche Mutationen sind in der Regel zufällig und schwer vorherzusagen, doch die Forscher haben einen schnelleren Mechanismus identifiziert, der es bestimmten Arten ermöglicht, genetische Eigenschaften über Artgrenzen hinweg zu übertragen.
Die Untersuchung konzentriert sich auf eine spezielle Art von Steinschmätzern, den Balkansteinschmätzer (Oenanthe melanoleuca). Hierbei wurde festgestellt, dass durch eine Mutation eines einzelnen Gens die Gefiederfarbe dieser Vögel signifikante Veränderungen durchlitt. Während die Rücken der Vögel ursprünglich schwarz waren, haben sie sich nun zu einer weißen Farbe gewandelt, und die Kehlen können entweder weiß oder schwarz sein. Die Forscher zeigen auf, dass dieses neue Farbmerkmal durch Hybridisierung mit den verwandten Maurensteinschmätzern (Oenanthe hispanica) weitergegeben wurde. Die Nachkommen dieser Kreuzungen, auch Hybriden genannt, fungieren als genetische Überträger, die die neue Färbung ihrer Elternart annehmen.
Die Studie, geleitet von Reto Burri und dem Erstautor Dave Lutgen von der Vogelwarte Sempach in der Schweiz, wurde in Zusammenarbeit mit Professor Holger Schielzeth vom Institut für Biodiversität, Ökologie und Evolution der Universität Jena durchgeführt. Die Ergebnisse belegen, dass Hybridisierungen nicht nur eine interessante genetische Dynamik in der Natur darstellen, sondern auch dazu beitragen können, dass Arten über Artgrenzen hinweg genetische Variationen annehmen und sich weiterentwickeln.
Ein zentrales Thema der Forschung ist die Bedeutung genetischer Vielfalt für die Anpassungsfähigkeit von Arten an sich verändernde Umweltbedingungen, insbesondere im Kontext des Klimawandels. Reto Burri hebt hervor, dass Arten mit einem breiten Spektrum an genetischen Merkmalen eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, sich an schnelle Umweltveränderungen anzupassen. Diese Anpassungsfähigkeit wird durch den Gentransfer zwischen Arten erheblich gefördert, was die Bedeutung interspezifischer genetischer Austauschprozesse unterstreicht.
Die Forscher haben auch festgestellt, dass die Vorteile des neuen weißen Gefieders der Balkansteinschmätzer noch nicht vollständig verstanden sind. Die Farbänderungen könnten jedoch mit Nahrungsunterschieden in Verbindung stehen, wie Analysen von Stickstoffisotopen nahelegen. Diese Erkenntnisse eröffnen neue Perspektiven auf die Evolution der Gefiederfarben und deren Funktionalität in verschiedenen Lebensräumen.
Insgesamt zeigt die Studie, dass Arten die gesamte genetische Vielfalt, die ihnen zur Verfügung steht, nutzen, um sich den Herausforderungen ihrer Umgebung anzupassen. Dies gilt nicht nur innerhalb einer Art, sondern auch über Artgrenzen hinweg, was die Komplexität der Evolution und die Interaktionen zwischen verschiedenen Arten verdeutlicht. Der Gentransfer zwischen den Steinschmätzern ist ein Beispiel dafür, wie flexibel und dynamisch genetische Prozesse in der Natur sind und welche Rolle sie bei der Anpassung der Arten spielen.
Diese Erkenntnisse könnten weitreichende Implikationen für das Verständnis der Evolution und der Biodiversität haben, insbesondere in Hinblick auf die Auswirkungen des Klimawandels auf verschiedene Tierarten. Der interspezifische Gentransfer könnte eine Schlüsselrolle dabei spielen, die genetische Resilienz von Arten zu fördern und ihnen zu helfen, in sich schnell verändernden Umgebungen zu überleben. Wissenschaftler werden weiterhin die Mechanismen und Konsequenzen solcher genetischen Austauschprozesse erforschen, um die evolutionären Dynamiken besser zu verstehen, die das Überleben und die Anpassung von Arten in einer sich verändernden Welt bestimmen.