Eine aktuelle Studie des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel und des Plymouth Marine Laboratory hat ergeben, dass der Ozean weitaus mehr Kohlendioxid (CO2) absorbiert als bisher geschätzt. Diese Erkenntnisse, die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, zeigen, dass der Gasaustausch zwischen der Atmosphäre und dem Meer nicht gleichmäßig erfolgt. Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass der CO2-Austausch symmetrisch verläuft, belegen die neuen Daten, dass die Ozeane in Wirklichkeit etwa 15 Prozent mehr CO2 aufnehmen, als gängige Modelle angeben.
Der Ozean spielt eine entscheidende Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf, da er ein bedeutender Puffer gegen den Klimawandel ist. Er absorbiert einen erheblichen Teil der durch menschliche Aktivitäten freigesetzten CO2-Emissionen und verlangsamt somit die Erderwärmung. Die Effizienz dieses Austauschs hängt jedoch stark von den Bedingungen ab, unter denen er stattfindet. Bisherige Modelle gingen davon aus, dass der Gasaustausch sowohl beim Aufnehmen als auch beim Abgeben von CO2 gleich schnell verläuft. Dr. Yuanxu Dong, Erstautor der Studie und Humboldt-Stipendiat am GEOMAR, stellt fest, dass diese Annahme nun infrage gestellt werden muss, da sie Grundlage vieler Klimamodelle ist und möglicherweise zu fehlerhaften Schätzungen geführt hat.
Die Forscher fanden heraus, dass in windreichen Gebieten, in denen Wellen brechen, Luftblasen ins Wasser gelangen. Diese Blasen fungieren als kleine Transportmittel, die CO2 unter dem erhöhten Druck im Wasser besonders effektiv lösen. Anstatt dass das Gas einfach ausgetauscht wird, wird es vielmehr „hineingedrückt“. Dieser Mechanismus führt dazu, dass die Aufnahme von CO2 durch den Ozean deutlich über der Abgabe liegt. Bisher war dieser asymmetrische Effekt theoretisch vermutet, konnte jedoch bislang nicht direkt belegt werden.
Die Studie beruht auf umfangreichen Messungen des CO2-Austauschs zwischen Luft und Wasser, die während 17 Forschungsfahrten in verschiedenen Ozeanregionen gesammelt wurden. Insgesamt analysierten die Wissenschaftler 4.082 Datensätze zu den CO2-Flüssen. Durch die Anwendung einer neu entwickelten zweidimensionalen Analysemethode konnten sie zum ersten Mal nachweisen, dass der Gasaustausch tatsächlich asymmetrisch ist. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wurden die globalen CO2-Flüsse zwischen Luft und Wasser für den Zeitraum von 1991 bis 2020 neu berechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass der Ozean jährlich etwa 0,3 bis 0,4 Petagramm mehr Kohlenstoff aufnimmt als bislang angenommen.
Besonders stark ausgeprägt ist dieser Effekt im Südlichen Ozean, wo häufig starke Winde und hohe Wellen herrschen. In diesen Regionen sind auch einige der gravierendsten Auswirkungen des Klimawandels zu beobachten. Zudem zeigt die Studie saisonale Unterschiede: Im Winter, wenn die Sturmaktivität zunimmt, verstärkt sich der asymmetrische Effekt noch weiter.
Die Ergebnisse dieser Forschung haben weitreichende Konsequenzen für die bestehende Klimaforschung. Sie deuten darauf hin, dass der Ozean als CO2-Senke bislang möglicherweise unterschätzt wurde. Gleichzeitig wird die Diskrepanz zwischen den Beobachtungen und den Schätzungen vieler globaler Klimamodelle größer. Dr. Ming-Xi Yang, Ko-Autor der Studie, betont die Notwendigkeit, die asymmetrische Formel in zukünftige CO2-Flussabschätzungen einzubeziehen, um die Genauigkeit der Modelle zu verbessern.
Trotz der überzeugenden Ergebnisse verweist das Forschungsteam auch auf bestehende Unsicherheiten. Insbesondere fehlen umfassende Daten zu CO2-Ausgasungen unter extremen Wind- und Wellenbedingungen, da diese schwer zu messen sind. Weitere Forschung ist erforderlich, um den asymmetrischen Effekt präziser zu quantifizieren und in globale Klimamodelle zu integrieren. Es ist jedoch klar, dass der Ozean eine wesentliche Rolle im Klimasystem spielt und selbst kleine Prozesse, wie die Bildung von Luftblasen in Wellen, erhebliche Auswirkungen auf die CO2-Dynamik haben können.
