(Wegen eines Stromausfalls besorgter Geschäftsleiter). |
Kurze Stromausfälle, große Folgen: Was die offiziellen Statistiken verschweigen
Deutschland rühmt sich eines der sichersten Stromnetze der Welt zu haben, so zumindest die Bundesnetzagentur. Doch die Realität in der Wirtschaft malt ein anderes Bild. Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) erlebten im Jahr 2023 rund die Hälfte der deutschen Industriebetriebe erhebliche Stromausfälle mit teuren Konsequenzen.
Ein trügerischer Schein: Atomausstieg und schwankender Ökostrom
Trotz des Atomausstiegs und dem zunehmenden Anteil schwankender Wind- und Solarenergie verkündet die Bundesnetzagentur Jahr für Jahr beruhigende Zahlen. Der sogenannte SAIDI-Wert (System Average Interruption Duration Index) zeigt eine durchschnittliche Unterbrechungsdauer von lediglich 12,2 Minuten pro Jahr und Verbraucher. Dies scheint im internationalen Vergleich beeindruckend, wenn man bedenkt, dass Stromkunden in den USA durchschnittlich 125,7 Minuten ohne Strom auskommen müssen. Doch diese Statistik erfasst nur Unterbrechungen, die länger als drei Minuten dauern, und verschweigt somit die verheerenden Mini-Blackouts, die Unternehmen zu schaffen machen.
DIHK-Umfrage enthüllt das wahre Ausmaß der Stromprobleme
Eine exklusive Umfrage der DIHK unter 1000 Unternehmen offenbart eine ernüchternde Wahrheit: Fast die Hälfte der befragten Betriebe erlitt 2023 finanzielle Schäden durch Stromausfälle. Besonders betroffen sind kleine und mittelständische Unternehmen, die Produktionsausfälle und Schäden an Maschinen hinnehmen mussten. Die Kosten für diese Ausfälle reichten oft bis zu 50.000 Euro, in einigen Fällen sogar über 100.000 Euro.
Unsichtbare Bedrohung: Kurzzeitige Stromausfälle und ihre Auswirkungen
Kleine Spannungsschwankungen und Stromunterbrechungen von weniger als drei Minuten werden in den offiziellen Statistiken nicht erfasst. Doch genau diese können die Produktion empfindlich stören. Digital programmierte Maschinen produzieren fehlerhafte Werkstücke, Präzisionsgeräte schalten sich selbst ab, und Druckpressen kommen zum Stillstand. Der Kunststoffverarbeiter Hehnke in Thüringen etwa kämpft mit häufigen Ausfällen teurer Elektronikkomponenten aufgrund von Mini-Blackouts, die jährlich bis zu 30.000 Euro kosten.
Die Schwachstelle der modernen Technik
Moderne, energiesparende Maschinen reagieren besonders empfindlich auf Stromschwankungen. Torsten Herrmann, Geschäftsführer von Hehnke, berichtet, dass die Probleme in den letzten Jahren zugenommen haben. „Je energieeffizienter die Unternehmen werden, desto sensibler reagiert die Technik auf Spannungsschwankungen im Stromnetz,“ erklärt er. Diese Erkenntnis teilen viele Betriebe, die die Stabilität der deutschen Stromversorgung zunehmend infrage stellen.
Notlösungen und fehlende Transparenz
Als Reaktion auf die unzuverlässige Stromversorgung haben einige Unternehmen bereits Notstromaggregate und Energiespeicher installiert. Trotzdem bleibt die genaue Ursache vieler Stromausfälle oft ungeklärt. Zwei Drittel der betroffenen Firmen wissen nicht, warum sie Stromprobleme haben. Achim Dercks von der DIHK fordert daher ein Monitoring für Stromausfälle unter drei Minuten und ein Auskunftsrecht über deren Ursachen.
Politik muss handeln: Forderungen nach Konsequenzen
In der Politik wurde das Problem lange ignoriert. Doch angesichts der alarmierenden Umfrageergebnisse fordert CDU-Politiker Mark Helfrich nun Maßnahmen zur Sicherstellung einer stabilen Stromversorgung. Auch FDP-Politiker Konrad Stockmeier betont die Notwendigkeit eines koordinierten Ausbaus der erneuerbaren Energien, des Stromnetzes und der Speicherkapazitäten.
Bundesnetzagentur lenkt ab
Die Bundesnetzagentur sieht keine Verbindung zwischen dem Ausbau erneuerbarer Energien und den Spannungsschwankungen. Sie argumentiert, dass die zunehmende Sensitivität der modernen Leistungselektronik die Ursache für die wahrgenommenen Probleme sei. Dennoch bleibt die Forderung nach mehr Transparenz und gezielten Maßnahmen bestehen, um die Zuverlässigkeit der Stromversorgung sicherzustellen.
Fazit
Die vermeintliche Sicherheit des deutschen Stromnetzes ist trügerisch. Während offizielle Statistiken eine positive Bilanz zeichnen, kämpfen Unternehmen mit erheblichen Problemen durch Mini-Blackouts. Es ist höchste Zeit, dass Politik und Netzbetreiber die Realität anerkennen und gezielte Maßnahmen ergreifen, um die Stabilität und Zuverlässigkeit der Stromversorgung in Deutschland zu gewährleisten.
Quelle: WELT